Gewölbeschreiber

Textsammlung zur Lesung „Lebensweisheiten“ der GewölbeSchreiber am 28. November 2024

 

Hinweis: Die Urheberrechte für alle Texte liegen bei den genannten Autoren. Eine Weiterverwendung oder eigene Veröffentlichung ist nur nach Rücksprache mit dem jeweiligen Autor erlaubt.

 

 

Brigitte Szabo, Lebenszeiten I

 

Was hat unsere Seele mit uns vor?

Woran erfreut sie sich,

wie kann sie sich erleben,

ausleben?

Wo sprudelt sie?

Wo ist der Zugang zu ihrer Quelle?

 

Unabhängig davon,

ob das andere toll finden,

ob das andere verstehen,

ob andere damit einverstanden sind.

Unabhängig davon,

hat sie sich genau in diese Zeit inkarniert.

(in carne – „Fleisch“ werden.)

 

In Entscheidungen immer den Applaus zu bedienen,

kann das zum unterschätzen Suchfaktor werden?

Ist das langfristig gesundheitsfördernd?

Bringt es mich auf Dauer weiter,

„auserkorene Erziehungsberechtigte“ zu bedienen,

wie es in der Kindheit anerzogen wurde?

Oder darf die Seele, der Seelenwille

zunehmend die Führung übernehmen?

Eine Instanz,

jenseits unserer womöglich

bisherigen äußeren Abhängigkeiten,

in denen wir stehen?

 

Die Zeit – jetzt – im Wandel,

polarisiert gerade wieder extrem.

Vielleicht dürfen wir vermehrt Vertrauen

in uns selbst setzen.

„Unsere“ Seele kennt schließlich als einzige,

den uns betreffenden Plan.

 

Und ja, es ist verteufelt:

Immer wird es alles andere auch geben,

das dich lockt,

versprechend das blaue vom Himmel,

beim Verkauf deiner Seele.

Denn:

In unserer polaren Welt,

generiert sich alles gegenseitig.

 

Volker Sebold, Das Haus

Die Reifen meines Wagens durchpflügen vom Regen getränkte Spurrillen. Die Straße frisst das Licht. Blitze verirren sich am Nachthimmel. Durch die Windschutzscheibe wirken Laternen wie endlos brennende Sternwerfer. Nur das prasselnde Nass scheint Antworten auf nicht gestellte Fragen geben zu wollen. Ich parke den Wagen. Beim Aussteigen empfängt mich eine elende Kühle. Regen klatscht in mein Gesicht. Das Haus reckt sich majestätisch in den dunklen, wolkenverhangenen Himmel. Eingerahmt von riesigen Bäumen, die im Dunkeln Fratzen schneiden. Ich betrachte das wuchtige Holztor mit den eingelassenen Intarsien. Ein Löwenmaul mit heraushängender Zunge bildet sich auf meiner Netzhaut ab.

In meinem Rachen sammelt sich nervöser Speichel. Ich gehe langsam die Steintreppe nach oben. Mit zittrigen Fingern stecke ich den Schlüssel ins Schloss. Hinter mir fällt die Türe mit den Glaseinsätzen sanft in ihre Fassung. Ich bin im Haus von Großtante Lucretia, die vor Kurzem verstorben ist und in mir eine nicht definierbare Leere hinterließ. Modriger Geruch schleicht sich in meine Nase. Meine Erinnerungen sind wach. Ich traue mich nicht, den Lichtschalter zu drücken. Schritt für Schritt, taste ich mich in Richtung Wohnzimmer. Ich bemerke das Sofa und die zwei Sessel, die an ihrem angestammten Platz stehen und auf mich gewartet zu haben scheinen.  Es ist empfindlich kalt. Dennoch fühle ich Schweiß auf der Stirn. Ich habe feuchte Hände. Das Sweatshirt klebt am Körper. Ich reiße das Leinen, das wie ein Leichentuch über dem Mobiliar liegt, herunter. Als es zu Boden fällt, schweben Staubpartikel durch den Raum. Ich setze mich vorsichtig in einen der Sessel und schaue in den Raum. Die Straßenlaterne sendet einen Lichtstrahl durch die Ritzen der Fensterläden. Der Staub beginnt zu tanzen. Paart sich, um mir Sekunden später zu Füßen zu liegen. Ich schließe die Augen und blicke zurück in die Vergangenheit.

 

  1. In den Ferien fuhr ich mit meinen Eltern in eine beigefarbenen VW Käfer zur Tante meines Vaters. Das Butterbrot schmeckte. Ich träumte vor mich hin, während das Auto die Kilometer fraß. Bevor wir das Haus von Großtante Lucretia, von allen Lucy genannt, betraten, spuckte meine Mutter in ein Stofftaschentuch und säuberte mir mit festem Druck meine Mundwinkel. Der Geruch von Spucke mit Spuren von Lippenstift verhinderte nur knapp, dass ich mich übergeben musste.

Am Abend hörte ich vor dem Einschlafen AFN, der aus einem elfenbeinfarbenen Philips-Weltempfänger tönte. Ich träumte vor mich hin und hörte begeistert Cats in the cradle von Harry Chapin. Tagsüber verbrachte ich viel Zeit im Garten mit Lucys Hund, Basko. Hinter dem Haus gab es einen Hühnerstall mit fünf Hennen. Ich beobachtete, wie Basko neugierig am Zaun schnüffelte, als ihn ein mutiges Huhn in die Schnauze piekte. Jaulend wich er zurück und drehte vor Schmerz panische Runden im Garten. Dann verbellte er hilflos die Hühner, die sich arrogant ihre Körner schmecken ließen. Ich fühlte meine Stunde als Rächer gekommen. Ich schaute mich um. Niemand zu sehen. Ich zog den Riegel am Hühnergehege zurück. Ein Satz, und Basko war im Schlaraffenland. Brutal biss er der Henne, die ihn gepiesackt hatte, den Kopf ab. Blut und Staub. Ich schrie um Hilfe – begann zu heulen. Mein Vater holte den Hund, der nur schwer zu bändigen war, aus dem Gehege. Die Tante beruhigte meine entsetzte Mutter, während mein Vater mit einer freien Hand nach mir schlug und mich an der Wange traf. Lucy nahm mich in Schutz und presste meinen Kopf unter ihre feuchte, warme Achsel, die nach Seife roch.

Bereits im Dezember kehrten wir zurück, um Weihnachten und Silvester zu feiern. Am letzten Tag des Jahres waren die Gäste schließlich eingetroffen. Plötzlich gab es einen Tumult im Wohnzimmer. Offenbar hatte eine Frau, die ich nicht kannte, über den schlüpfrigen Witz meines Vaters derart lachen müssen, dass ihr ein Teil der Zahnprothese in den Rachen gerutscht war. Sie stand mit einem zum Schrei offenstehenden Mund da und griff sich an ihr Dekolleté. Kein Ton entwich aus ihrem Körper. Die Augen drohten aus den Höhlen zu treten. Ihr Mann versuchte, mit seinen Fingern in die Mundöffnung zu greifen. Erstickung drohte! Die herbeigerufenen Sanitäter legten die Frau auf eine Trage. Beim Hinauslaufen knallten sie an einen Türrahmen. Die Frau krächzte und hustete – und spie tatsächlich in hohem Bogen die Kunstzähne heraus. Das Paar verließ konsterniert die Feier.

Ich öffne die Augen. Gänsehaut breitet sich über meine Arme aus. Helligkeit bricht in den Raum und schiebt das Dunkel beiseite. Die Uhr zeigt 08.35 Uhr. In Zeitlupe ziehe ich mich aus dem Sessel. Ich bin dankbar, dass ich hier so viele schöne Stunden verbringen durfte. Es war für mich ein Paradies. Jetzt ist alles vorüber. Der Tod von Lucy nimmt auch die Erinnerung mit fort. Ich taste mich zum Ausgang. Die schwere Tür fällt hinter mir ins Schloss. Ich kehre zurück in die Gegenwart.

Den Schlüssel werfe ich einem hohen Bogen in ein brachliegendes Ackergrundstück. Niemand weiß, was mit dem Haus geschehen wird. Der Nebel schluckt vorbeifahrende Autos, um sie irgendwo wieder auszuspucken. Meine Zigarette frisst sich in die Lungen. Der ausgeatmete Rauch paart sich mit der frischen, nassen Luft.

Ich pinkle in die Hofeinfahrt, drehe mich nicht mehr um, gehe zum Wagen und fahre in einen neuen Tag.

 

 

 

 

 

Christiane Dosseh, REISE  – STRESS

 

Machst du eine Reise

Verhalte dich verhalten und weise

 

Manchmal brauchst du Gas in hohem Maß

Manchmal ist es gut, wenn man was in Ruhe tut

 

So mancher gibt etwas dazu  und weist dir einen Weg

Der nächste sagt ‚was willst denn du und schickt dich wieder weg

 

Wenn du auf viele Displays schaust, kommt all’ Moment’ was anderes raus

Ein analoger Rat und Tip vom Fachmann spielt wohl auch noch mit

 

Dies Durcheinander, hin und her

Zu fassen ist schon gar nichts mehr

 

Du schwitzt, rennst, trittst

Noch einem ungrad auf den Fuß –

Was der da auch so stehen muss!

 

Ich bin im Weg und der noch mehr

Rücksicht nehmen ist jetzt schwer

 

Man hetzt und rennt und denkt

Man wäre jetzt gleich abgehängt

 

Da kommt der Zug am falschen Gleis, verspätet- fast schon vorteilhaft,

Weil man den Bahnsteigwechsel grad so schafft

 

Der Bahnbeamte, ganz entnervt, will seine Ruh,

Macht innerlich die Ohren zu

Und schickt uns heim und zwar zu Fuß

Damit er nichts mehr regeln muss

 

Ich hab jedoch schon längst bezahlt

Zuviel für das was ich erfuhr

Und fürchte schon auf die Retour.

cd.07/2024

 

 

 

Christiane Dosseh, Tierischer Frühling

 

Sich spreizen und Zieren ist Frühling bei Tieren

Sie dürfen  auch knurren und spucken und furren

 

Die Krallen ausfahren  sich übel gebaren

Sich gleich unterwerfen, dann doch Krallen schärfen

Die Zähne zeigen, das Köpfchen neigen

 

Den Bauch präsentieren ohne Genieren

Sich rollen und tollen

Beschnuppern und jagen

Hiebe verteilen  und jaulend enteilen

 

Alles nur  Hormone pur

So nett und lieblich, beschaulich, traulich und fein

Balz, Tierchen, oder bleibe allein

 

  1. 02/2014

 

 

 

Gerard Baron von Sachsen, Das letzte Schiff

Das letzte Schiff

 

Fässer werden auf farbigen Wellen wiegen,

Wenn das Schiff seinen letzten Hafen verlässt.

Über Bug und Heck werden Möwen fliegen,

Ruder und Kompass bestimmt auf Süd-West.

 

Die Mannschaft wird auf den Horizont blicken,

Keine Schulter wirft dann ein Auge zurück.

Am Kai werden Mädchen an Trauer ersticken,

Doch die Männer folgen der Stimme des Glücks.

 

Fern von Land werden alle Matrosen betrunken,

Trinken Rum aus Jamaika, Pastis aus Anis.

‘Mann über Bord’ wird zu ‘Seemann ertrunken’.

 

Der Ozean singt Lieder vom Paradies.

Das letzte Schiff liegt in Tiefe versunken.

Ein verlorener Schatten im blinden Türkis.

 

 

Gerard Baron von Sachsen, Das Monster von Loch Ness

 

Also gut, du willst das Monster von Loch Ness sehen?

Na klar, das tun sie alle.

Reisen an, mit Kameras,

Ferngläsern,

schicken sich Selfies am Ufer,

und hoffen auf den großen Moment.

Aber weißt du was?

Nessie, dieser alte Bastard,

scheißt auf dich und deine Kamera.

 

Sie sitzt da unten,

tief im dunklen Wasser,

lacht sich tot über euch Idioten,

die glauben, sie hätten den Mythos geknackt,

als wäre sie ein verdammtes Geheimnis,

das man einfach so lüften kann.

 

Nein, Kumpel.

Nessie zeigt sich nicht,

sie hat besseres zu tun.

Vielleicht frisst sie gerade nen Haufen Lachse,

vielleicht schläft sie,

oder vielleicht schaut sie einfach zu,

wie du am Ufer stehst,

mit deinem bescheuerten Hut,

und nach ihr suchst.

 

Und du?

Du wartest stundenlang,

starrst ins Wasser,

denkst, da bewegt sich was.

Oh, was war das?

War das Nessie?

Nein, Kumpel,

das war nur ne verdammte Welle,

vielleicht ein fetter Fisch,

oder ein alter Reifen,

den einer reingeworfen hat,

vor fünfzehn Jahren.

 

Du glaubst, Nessie wäre groß?

Ein Monster?

Ein verdammter Riese?

Aber sie ist klein,

so klein,

dass sie sich in deinem Kopf versteckt.

Denn da ist sie am mächtigsten,

nicht in den Tiefen des Lochs,

sondern in deiner Einbildung,

in deinen Erwartungen.

 

Aber stell dir mal vor,

sie kommt wirklich raus.

Plötzlich taucht sie auf,

so groß, wie die Legenden es sagen,

der Hals lang,

die Augen klein,

ein bisschen glubschig,

aber irgendwie auch verdammt müde,

als hätte sie die letzten hundert Jahre geschlafen,

und dann schaut sie dich an.

 

„Was willst du, du verdammter Tourist?“

fragt sie.

„Willst du ein Foto?

Willst du mich füttern?

Oder willst du einfach nur glotzen,

wie alle anderen Idioten vor dir?“

 

Und du stehst da,

die Hose nass,

vor Schreck oder vor Dummheit,

und du weißt nicht,

ob du lachen oder schreien sollst.

 

Nessie hat genug.

Sie hat’s satt,

diese verdammten Menschen,

die meinen, sie sei eine Attraktion.

Sie ist kein scheiß Zirkuspferd,

sie ist das Monster von Loch Ness,

das Biest,

das lebt,

weil keiner wirklich weiß,

ob es sie gibt.

 

Und das ist der Punkt, Kumpel.

Es geht nicht um Nessie,

es geht um dich.

Du brauchst das Monster,

um zu glauben,

dass es da draußen noch was gibt,

was größer ist als du,

was du nicht verstehen kannst.

 

Und Nessie?

Sie sitzt da,

grinst,

und zieht sich wieder zurück.

Tiefer und tiefer,

bis du nur noch das Wasser siehst,

glatt wie immer,

und du stehst da,

wie ein Idiot,

der nie wirklich was gesehen hat.

Aber hey,

du hast die Story,

oder?

Du hast das verdammte Loch gesehen,

du hast ein paar Fotos gemacht,

und du kannst deinen Freunden erzählen,

dass du da warst.

 

Und Nessie?

Nessie lacht immer noch.

Irgendwo da unten,

im kalten, schmutzigen Wasser,

wo sie hingehört

 

 

Gerard Baron von Sachsen, Der Spatz

 

Unscheinbar, braun und unauffällig,

Bewohnst du meine Kinderträume.

 

Auf Dächern und auf Scheunen hab ich dich gesehen und gehört.

In deinen Augen flackerten die Sonne und die Wolken.

Aus deinen Flügeln wuchs der Frühlingswind.

 

Die Birkenbäume in unserem Garten,

Schienen mit dir mit zu fliegen

Als du mein Herz hinauf zum Himmel trugst.

 

Noch immer spüre ich die Wärme deiner Federn.

Ich war ein kleiner Junge und du ein kleiner Spatz

 

 

Gaby Huml, Adventszauber – Erinnerungen an meine Kindheit

Es gibt im Jahreslauf viele schöne Ereignisse, die den Alltag erfreuen, vielleicht auch erträglicher machen und mit ihren Höhepunkten das Dasein erleuchten.

Wie geht uns das Herz auf, wenn wir nach einem langen, dunklen Winter das erste Schneeglöckchen erblicken, die Zugvögel das Frühjahr zwitschernd begrüßen oder die Kinder im saftigen Gras nach Ostereiern suchen. Nicht minder erfreuen uns die Sommertage, die zu Ausflügen, Radtouren, geselligen Treffen im Freien einladen. Und gerne durchwandern wir den bunten Herbst.

Aber was sind all die sonnendurchtränkten Freuden im Vergleich zu dem Fest, das mich in der Kindheit so sehr in den Bann der Erwartung und Vorfreude gezogen hatte, dass ich stets glaubte, die Adventszeit nicht überleben zu können. Denn die Augenblicke der Freude auf den Heiligen Abend und die sogenannte „dicke Luft“, die wegen der vielen Vorbereitungen das harmonische Familienleben bedrückten, lagen eng beieinander.

Wobei ich mich schon fragte, warum die Erwachsenen derartig genervt, oft schlecht gelaunt ihre Wohnungen schmückten und Unmengen von Gebäck herstellten. Für diese Arbeiten sei doch das Christkind zuständig und ihm zur Seite eine große himmlische Heerschar. Dies hatte mir einiges Kopfzerbrechen bereitet und bei meinem neugierigen Nachfragen, erntete ich nur „das Christkind kann nicht alleine alles machen. Frag nicht so viel, sei brav!“ Ja, das mussten wir in dieser Zeit in besonderem Maße sein: hilfsbereit, brav, gut, freundlich (besonders zu den eigenen Geschwistern). Und doch hatte diese Zeit trotz des Fastens (wir mussten unseren schon spärlichen Schokoladenkonsum sozusagen ganz streichen), der vielen Gottesdienstbesuche (wir wohnten direkt neben der Kirche) und der Entbehrungen einen geheimen Zauber verstreut.

Die selige Vorweihnachtszeit hatte gleich nach dem Spätherbst begonnen. Da wiesen schon die Vorzeichen Tag für Tag mehr daraufhin. Das verfärbte Laub war mit Raureif überzogen, die Luft wurde frischer, bis plötzlich über Nacht alles ganz anders geworden war. Beim Fensteröffnen am Morgen hatte ich es gleich gespürt! Es roch sauberer, feiner, als sonst. Ich atmete tief ein und rief zu meiner jüngeren Schwester, die noch im Bett lag: „Es duftet schon nach Weihnachten!“ Aber gleich wehte ein eine andere Luft in Form unserer Mutter herein, die uns eben wecken wollte: „Damit dauert es noch eine Weile.“

In unseren Nachthemden liefen wir zum Adventskalender, suchten das entsprechende Türchen und zupften es auf, wobei etwas Glitzer an den Fingern blieb. „Schau“, sagte die Jüngere von uns, „jetzt bin ich auch fast ein Engel, weil ich was Glitzeriges an mir habe“. Schoki-Kalender gab es bei uns nicht. Unsere hatten Zeichnungen mit pausbäckigen Engeln, die im Himmel eifrig hantierten. Und das mit viel Glitzerzeug übersät. Beim anschließenden Frühstück in der warmen Küche fanden wir verstreut Lamettafäden unter der Kakaotasse, während Mutter schon mit dem Teigemachen beschäftigt war. Ich verkündete sofort: „Mutti, dürfen wir heute Nachmittag Plätzchen ausstechen?“ „Oder die bunten Kügelchen und Perlen darauf streuen?“, ergänzte treuherzig meine Schwester. Unser Angebot war wirklich der Mithilfe geschuldet und nicht nur wegen des Naschens.

Jedoch, Mutter sah etwas sorgenvoll aus dem Fenster und meinte: „Mir wäre es lieber, ihr spielt draußen. Das Wetter scheint sich zu halten“. Sofort jammerten wir los, sie habe es uns fest versprochen, man sollte doch gerade jetzt helfen, usw. Doch weiter kamen wir nicht. Denn auf uns wartete die Schule und der hieß es zu folgen. Schließlich schwirrten in jener Zeit göttliche Spione herum, die jedes Tun und Unterlassen in einem goldenen Buch notierten, diese Einträge an die oberste Instanz weiterleiteten und an die Geschenkeverteilung gaben. Deshalb mussten wir nicht nur gute Leistungen erzielen, sondern zusätzlich unsere Kinderkraft in Bastel-, Handarbeits- und Musikstunden oder Gedichtelernen legen.

Also verließen wir etwas missmutig die Wohnung. Vielleicht hatte der Himmel mit unserem Bitten ja ein Einsehen. Und tatsächlich: Mutters Wunsch, wir sollen im Freien spielen, wurde an diesem Tag nicht erhört. Hatte sie es sich mit den Oberen Heerscharen verscherzt? Am Vormittag hatte es erst dicke Flocken geschneit, die leider in Regen übergegangen waren. Und so hofften wir auf emsiges Mitbacken daheim, was wir allerdings angesichts der gestressten Hausfrau fallen ließen. Sie empfing uns nur kurz, dass das Mittagessen ausnahmsweise in der Wohnstube stattfinden solle, weil in der Küche jeder Platz mit Blechen, Gerät und Backzutaten ausgelegt sei.

Vater kam auch zum Mittagessen nach Hause. Er wurde ähnlich begrüßt. Zur Aufmunterung wagte er einen kurzen Blick in die Backstube: „Ah, das duftet aber fein! Frau, heute hast du richtig rote Bäckchen“, worauf er eiligst den Suppentopf nahm und schnell die Türe schloss. Was sonst nur den Sonntagen vorbehalten war, nämlich Spielen im Wohnzimmer, wurde uns an diesem Tag bereitwillig erlaubt, ja von Amts wegen auferlegt. Vater hatte die Stube für uns eingeheizt und ermahnt: „Bleibt schön hier drinnen. Mutter backt und kann euch nicht brauchen. Macht eure Hausaufgaben und dann dürft ihr spielen. Aber nichts anstellen!“ Und mit dieser Ermahnung hatte er uns wieder verlassen.

Mutter werkelte in der Küche weiter. Von Zeit zu Zeit sah sie nach uns. Eilig erledigten wir unsere Hausaufgaben, dann holten wir unsere Malsachen hervor, um die Wunschzettel an das Christkind zu schreiben; wobei wir die meisten Sachen zeichneten, damit das Christkind auch ganz genau unsere Vorlieben wusste. Damit nicht wieder das Malheur des Vorjahres passierte, als meine Puppe ein furchtbar rosafarbenes Kleid bekam, obwohl ich doch ein hellblaues erbeten hatte! Besorgt schauten wir aus dem Fenster: „Ob das Christkind auch bei Regen zu uns kommt? Es hat doch nur den Schlitten“, überlegte meine Schwester. Ich, die Ältere wusste, dass der Schnee keine zwingende Voraussetzung für das Christkind sei: „Dann kommt es eben im Hubschrauber oder Flugzeug, wenn es sehr viele Geschenke dabei hat“ und derart beruhigt, wandten wir uns nun dem Wohnzimmerschrank zu, der mit seinen Türen und Schubfächern uns magisch angezogen hatte. Leider hatte man entsprechende Vorsorge getroffen und die Schlüssel abgezogen. Allerdings fanden wir eine Schublade, aus der etwas Weißes, Gelocktes herausquoll. Zuerst unschlüssig, schließlich der Neugierde nachgebend, öffneten wir das Fach und zogen es heraus. „Was ist das?“, fragte meine Schwester.

Stolz erklärte ich, dass ich so etwas an Rauschgoldengel gesehen und das Christkind die Sachen hier der Einfachheit halber deponiert habe. Denn nun kamen auch weitere Weihnachtsutensilien hervor. Lametta, Sterne, Schleifen, Kugeln. Unsere Augen liefen über vor so viel Glitzer, den wir um uns hingen, sodass wir gar nicht bemerkten, als plötzlich Mutter hinter uns stand.

Dekoriert und erschrocken wollte ich mir das Engelshaar entfernen, das sich aber fest in die Kleider verfangen hatte. Ich zog und riss, blieb an der Vase mit einem geschmückten Tannenzweig hängen und schon klirrten Kugeln zu Boden. Meine Schwester weinte, sie habe als Jüngere ja gar keine Schuld und warf das Lametta, das eben noch ihren Kopf drapiert hatte, herunter. Mittlerweile roch es aus der Küche nach verbrannten Plätzchen. Zum Glück! Denn die hatten uns vor einer größeren Strafe bewahrt. Sofort stürzte Mutter wieder in die Backstube: „Oh je, oh je, heute geht auch alles schief!“

Pflichtbewusst verstauten wir nicht nur die Sachen wieder in den Schrank zurück, sondern räumten auch das Wohnzimmer auf. Wir schüttelten die Sofakissen auf, richteten die Tischdecke gerade und kehrten die Kugelscherben weg. Ja, ich bot mich sogar an, den Abfall in den Keller zu tragen, obwohl ich mich immer arg davor gefürchtet hatte. Kleinmütig schauten wir in die Küche. Mutters Zorn war verraucht und die Kekse nur teilweise genießbar. Den Rest durften wir ins Vogelhäuschen streuen.

Und nach dem Abendbrot saßen wir alle vereint um den Küchentisch, Vater las uns eine Geschichte vor, wir sangen, ich übte ein Flötenstück ein und Mutter war auch wieder zufrieden. Über den Vorfall am Nachmittag hatte sie Vater nichts erzählt. Auch das gehörte zur Vorweihnachtszeit, das Verzeihen können und die Bereitschaft, einander wieder die Hände zu geben.

Ja, so verliefen die Adventstage mit großen und kleinen Erwartungen. Denn die Wünsche hielten sich in Grenzen. Irgendwie wussten wir, dass man vom Christkind nicht zu viel verlangen durfte. Es musste noch für die vielen anderen Kinder sorgen. Da war man schon froh, wenn neben dem Wintermantel, dem obligatorischen Süßigkeitenteller, dem Bilderbuch, ein neues Kleid für die Puppe bereit lag. Und wie schön und neu hatte meine Puppe immer wieder am Heilig Abend unter dem Christbaum gelegen, nachdem ich sie für mindestens zwei Wochen nicht gesehen hatte.

Denn ab dem Nikolaustag wurden die Puppen abends an das Küchenfenster gesetzt, wo sie am darauffolgenden Morgen verschwunden waren. „ Ich habe aber Angst, dass Ulla verloren geht“, jammerte ich. Jedoch die Engel hatten sie abgeholt, damit sie „generalüberholt“ und mit neuen Kleidern ausgestattet wurden, was mich beruhigte.

Dann kam der Heilige Abend! Aufgeregt hatten wir uns vor das Wohnzimmer gestellt und auf das Klingeln mit dem Glöckchen gewartet, das den Rückzug des Christkinds und uns den Eingang in die hellerleuchtete Stube erlaubte. Dort prangte vom Boden bis zur Decke der festlich geschmückte Weihnachtsbaum mit echten Kerzen. Vater im dunklen Anzug, Mutter im Sonntagskleid. Das Fenster weit geöffnet, damit das Christkind auch genügend Platz hatte, wieder hinauszufliegen. Die Domglocken läuteten die Weihnacht ein und ein seliges Gefühl ob der vielen Herrlichkeiten durchzog mich. Wo sollten wir zuerst hinblicken? Bald fanden unsere Augen die Geschenke. Aber der Empfang dieser Herrlichkeiten musste erst mit mindestens vier Weihnachtsliedern, einem Gedicht, der Lesung aus dem Lukasevangelium und meiner Flötendarbietung erarbeitet werden. (Mein Vater erzählte mir, dass er sogar noch kniend als Kind in Latein beten musste!).

Dabei glitten die Augen sehnsüchtig zu den Gaben des Himmels. Unsere Kinderherzen schlugen immer nervöser, bis sich meine Eltern erbarmten und wir endlich auspacken durften. Da wuselten wir in weißen Strumpfhosen und in Samtkleidern auf dem Boden herum, holten die bunten Schachteln hervor. Welche Aufschreie der Freude – aber auch manchmal ein enttäuschtes Gesicht, nicht nur auf Seiten der Kinder. War das eine oder andere Geschenk nicht ganz passend vom Christkind erwählt, hat man sich spätestens am 1. Weihnachtsfeiertag damit arrangiert. Schließlich war auch im göttlichen Kaufhaus nicht alles vorrätig! Und die Aussicht auf die zukünftigen Weihnachten hat auch die Enttäuschtesten mit dem Himmel wieder versöhnt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nadine Schmid, Zeit-los – Zeit – Los

Ich bin zeit-los.

Immer in Eile

Immer in Hektik

Immer im Stress.

 

Keine Zeit

Für mich

Für dich

Für uns.

 

Da schenkt mir jemand ein Zeit-Los. Hauptgewinn!

 

Jetzt habe ich genug Zeit:

Zeit zum Leben

Zeit zum Lachen

Zeit zum Nachdenken

 

Endlich Zeit

Für dich

Für mich

Für uns

 

Zeit zum Reden und Zuhören

Zeit, sich miteinander zu freuen.

Zeit, uns endlich wieder besser zu verstehen.

Leider bist du auch zeit – los.

 

Nadine Schmid, Mein Terminkalender und ich

 

Terminkalender, mein Freund,

der mir hilft, mein Leben in Ordnung zu halten.

 

Terminkalender, mein Begleiter,

der überall hin mit mir geht.

 

Terminkalender, mein Manager,

der meine Verpflichtungen und Verabredungen organisiert.

 

Terminkalender, meine Gedächtnisstütze,

die mich nichts vergessen lässt.

 

Terminkalender, mein Planer,

der meinen Tag strukturiert.

 

Terminkalender, du Hindernis,

das mir die Freizeit nimmt.

 

Terminkalender, du Sklaventreiber,

den ich langsam zu hassen beginne.

 

Terminkalender, du Diktator,

der meine Freundschaften zerbrach.

 

Terminkalender, du Unmensch!

Moment mal – du bist ja gar kein Mensch.

 

 

Irena Hofmogel, Utes Gebäck

 

Es hat so angefangen: Ute hat zur einen Veranstaltung „ Trockenfutter“ mitgebracht.

Das heißt selbstgebackenes. Gepackenes oder Gebackenes , das spielt keine Rolle für mich und manche andere „Außergeländer“ – wir können immer noch nicht alle Worte pertekt ausprechen. Außerdem , bald wird sowieso die Schreibweise wieder geändert. Ale paar Jahre ein neuer Duden. Das selbe Problem habe ich mit den Wörtern gestürzt und gestutzt oder Schüssel – Schlüssel. Na ja, da gibt es noch mehr.

 

Zurück zu Utes Gebäck. Irgendwann hatte jemand gefragt, ob sie ihm das Rezept geben kann.

Na, dann denken wir uns selbst was aus, ich habe das Rezept nicht gefunden.

Ich habe das Backkunstwerk mit offenem Augen genau betrachtet, woraus es besteht. Braune Farbe.

Da fällt mir ein: Wir haben April und viel Sahara-Sand.

Ja meine Lieben: Ich habe gleich reagiert und meinen Glastisch auf dem Balkon aufgeräumt und den Sand gesammelt. Nach ein paar Tagen, waren vier Backbleche voll. Sie waren nicht zu voll , aber durch Pressen bekommt der Teig genau die gleiche Stärke wie Utes Gebäck.

Ute hat bestimmt eine alte pneumatische Presse in der Garage stehen. Aber ich habe sowas nicht. Also  muss meine Familie ran.  Die 97-jährige Oma, mein Enkel – ein Leichtgewicht, meine Tochter und ich, haben bei schönem Wetter im Hof auf den Blechen herumgetrampelt. Auf einmal kommt der Hund und wollte bei der Uroma auf das Blech sein Geschäft machen.

Das blieb nicht ohne Folgen. Die Uroma ist gehüpft und auf einmal liegt sie da, am Boden mit gebrochenem Bein!

Damals wollte doch die Amputations-Klinik neu öffnen, aber es war noch nicht so weit, oh weh. Ich habe von den Nachbarn schnell die Baumsäge gekauft. Unsere gute Nachbarin, die früher im OP-Saal im Krankenhaus  als Putzfrau gearbeitet hat, riet uns eine einfache Säge zu nehmen. Bei der Osteoporose hat das gut funktioniert.

Die Uroma hat überlebt, nur das Hüpfen auf einem Bein, klappt nicht mehr, Durch ein paar Tropfen Regen und durch den Schweiß an den Füßen hat der Teig eine sehr gute Konsistenz bekommen –  und schmecken tut das Gebäck fast wie das von Ute. Ich habe erfahren, dass der Teig sehr gesund ist und man nennt das „Fingerfood „.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Brigitte Szabo, Lebenszeiten 2

 

Astronomie und Astrologie waren anfangs eins. Das Vermessen und das Interpretieren. Unser Eingewobensein in eine Ganzheit. Eine Symbolwelt mit der Möglichkeit, sie zu entschlüsseln.

 

Geschichten, Mythen, Sagen, verbanden die Menschen. Sie reichen bis in unserer „moderne“ Welt. Mit zunehmender Erkenntnis im Weltraum öffnen sich auch der Astrologie neue, erweiterte, zusätzliche Interpretationen. Mit Worten für unser heutiges Verständnis, unsere heutige Sprache.

 

Ein zündender Funke

lässt eintauchen in Raum und Zeit,

ins Unverstandene,

nicht ins Chaos,

in eine größere Ordnung.

 

Meine Beiträge

mit den Werkzeugen der Astrologie

sind deshalb keine schnellen Rezepte,

wie sie im herkömmlichen Sinne

einfach angewendet werden können, oder wollen.

 

Vielmehr geht es um unterschiedliche Zugänge

zu Seelenqualitäten,

die in uns angelegt sind.

Die z.B. durch Sprache

ins Bewusstsein gehoben werden können.

Lichtimpulse, Schwingungen, die

wie aus verschütteten Lebensadern

zu Seelenanteilen

in unser Leben treten,

während unserer Lebenskämpfe.

 

Innere, intuitive Klicks,

die uns einen „Frei“-Raum schaffen.

Einen Freiraum,

in dem es uns

mindestens für Augenblicke beflügelt,

uns Flügel verleiht,

und unsere guten Gefühle nährt.

Ein kompatibel werden

auf Herzebene.

Wo wir die Ahnung

von einer Quelle bekommen,

die uns trägt,

durch alle Zeiten.

 

Eine Quelle,

in der wir uns auch individuell

und einmalig

selbst erkennen können.

Eine Quelle,

der wir uns immer wieder zuwenden können.

 

Was uns frei steht.

 

 

Entsprechung Tierkreiszeichen Jungfrau 

(23.08.-22.09.)

 

Einatmen, ausatmen ……….

Wie vom Widder in den Stier (siehe dort),

wie von Zwillinge in das Zeichen Krebs (siehe dort),

im Atem-Rhythmus bleibend,

vom Löwen in das Zeichen Jungfrau.

 

Vom M u t des Löwen, vom „wo fehlt es mir, was brauche ich“   –

zur Fähigkeit der D e m u t des Zeichens Jungfrau, dem „wo fehlt es um mich, was brauchen andere, wo krankt es im System“;

Von Eroberungen schlechthin   –   in das Ordnung- und Heilung Schaffende;

Vom Erstrahlen   –   ins erstrahlen lassen;

Vom gesehen werden wollen   –   ins wirken auch im Unbeachteten;

Vom Großen, einatmen, sich aufblähen (Brustkorb) –

ins Kleine, Details beachtende, manchmal auch Kleinliche, atemlose, sich erschöpfende; (allerdings auch Gescheitheit betonende Besserwisserei, das „Helfersyndrom“ ist hier zu finden);

Vom Feurigen, äußeren Glanz, der Euphorie   –   ins Gespür für das gesunde, heilsam Notwendige;

Auch vom Ziehen in den Kampf für Glanz und Gloria   –   zur Dienstleistung im Lazarett.

 

Mit Merkur, dem Herrscher bzw. Leitplaneten des Zeichens Jungfrau, übernommene Aufgabenstellungen über jedwede Art von Informationen, Kommunikation, Vermittlung; analysieren von Informationen verschiedenster Ebenen im Zuge sachlich nüchterner Existenzbewältigung, Existenzsicherung, Existenzerhaltung.

 

Mit dem esoterischen Herrscher Mond, die zunehmende Erkenntnis, dass Heilung auch auf der Gefühlsebene stattfinden muss. Vermittelt aufnehmend, in Betracht ziehend, dass Mond als Reflektor, auch für die Gefühlswelt empfänglich, empathisch verborgene feinste Schwingungen aufnehmend, in allem organisch, entsprechend, reparierend wirken kann. Was leider auch, in dieser Abhängigkeit von Informationen, durch falsche „Licht“-Signale Mächtiger, massiv manipuliert und missbraucht werden kann.

 

Mit dem spiegelnden Mond, wie kleine Kinder empfänglich für feinste Schwingungen von für viele von uns unsichtbare aber ständig präsente Welten wie Gefühlswelt, Körperwelt, Mental- oder Gedankenwelt, Geistige Welt. So verwundert nicht der esoterische Saat-Gedanke des unterschätzten und unter Wert gehandelten Zeichens Jungfrau in Pflege und Dienstleistungsberufen:

 

„Ich bin die Mutter und das Kind, ich bin Gott, ich bin Materie.“

 

Auf obigem Tatbestand im Zusammenhang mit Nächstenliebe aufbauend, darf man erweiternd die Tatsache hier erwähnen, und ins Bewusstsein holen:

Dass Krankenhäuser der Reihe nach schließen, weil sie nicht genügend Profit abwerfen,

dass humanitäre Dienste zunehmend Gewalttaten ausgesetzt sind,

dass Menschen im Umweltschutz, Klimaschutz, Schutz von Natur und Tier, Schutz der Erde insgesamt, oft unter schwersten Bedingungen und unverstanden ihre humanitären Dienste verrichten müssen, bis hin zum Einsatz ihres Lebens.

Das Zeichen Jungfrau, bzw. die diesem Symbol auch zugeordneten Fähigkeiten, Gärten Eden zu bestellen, die dann besonders in diesem Monat uns reichlich Frucht hervorbringen und sättigen.

Weltweite Themen gehen uns absehbar zwingend alle an.

Der heutige Übergang zu Teamwork erfordert zunehmend ein sich öffnen, im mindestens verstehen wollen, für uns fremde Bereiche.

 

 

 

Entsprechung Tierkreiszeichen Fische

(19.02.-20.03).

 

Jahreszeitlich analog beginnt der Frost zu weichen, Eis zu schmelzen. Wasser, Rinnsale, Bäche, Wasserfälle kommen in Bewegung, sind nicht mehr aufzuhalten. Sie sind nicht mehr greifbar, nicht mehr zu halten. Sie fließen einfach, ihrem Typ gerecht werdend auch davon, entgleiten, wenn man sie halten möchte.

 

Das Tierkreiszeichen Fische entspricht in der Körper Anatomie auch den Füßen, wo beim Gehen jeweils ein Schritt die nächsten Schritte nach sich zieht. Analog auch einem Tanz, leicht und frei. Einem inneren Gefühl folgend. Sich befreiend von Fixierungen in dem Augenblick, wenn Fische in ihrem Element sind, sich selbst sein dürfen. Wenn sich Wasser naturgewaltig, unaufhaltsam, unhaltbar, auf die Reise macht, einfach nur seinem inneren Wesen folgend. Kreativ und doch eins mit Naturgesetzen, ewigen Gesetzmäßigkeiten, intuitiv.

 

 

Brigitte Szabo, N i c h t    l u s t i g   !!

 

Aus dem Bauch:

Es gibt eine ursprüngliche kindliche Wachheit, die einem mit zunehmendem Alter aberzogen wird. Kleine Kinder haben noch diese Gefühls-Offenheit, alles aufzusaugen wie ein Schwamm, auch das, was man alles nicht sagen und nicht sehen darf. Es bringt sonst nämlich Erwachsene in Konfliktsituationen mit entsprechender Reaktion. Und das Kind erkennt sich als verursachend.

 

Kann man derartige Begrenzungen irgendwann bewusst wieder ablegen, lässt das Energien wieder freier fließen. „Nicht lustig“ kann sich entkräften durch „lustig“.

 

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Seine Augen hängen an meinem Stück Kuchen wie Saugnäpfe. Es verschlägt mir den Appetit.  Ich schiebe meinen Teller von mir und sage: Ich habe dir noch etwas übriggelassen. Während er sich in Windeseile sein zweites Stück einverleibt bekommt er einen Hustenanfall.

Es bricht aus mir heraus: Hast du den Hals wieder nicht voll genug gekriegt. ­

 

Zwei beim Radeln:

Er: Komm, wir machen mal eine kurze Atempause!

Meine spontane Reaktion:

Willst du mich (uns) jetzt umbringen?

 

Treffen im Café:

Bevor wir aufbrechen,

gehe ich hier noch zur Toilette,

—- Die haben so schönes Klopapier

 

Alle großen möglichen Rastplätze für die Nacht hatte er mit seinem Wohnmobil auf der Autobahn bereits selbstverständlich hinter sich gelassen. Trotz meiner Bitten, endlich einen anzusteuern. Er in seiner weisen Voraussicht, dass noch ein weiterer, besserer käme. Das war allerdings schlussendlich ein Trugschluss. Auf kleinen Plätzen mit mangelhafter Beleuchtung wollte er allerdings auf keinen Fall übernachten, aus Furcht vor Einbrüchen. Bis es mir schließlich zu bunt wurde und ich gesagt habe: Jetzt hast du keine Wahl mehr. Dann fährst du eben auf einen kleinen Parkplatz für den Rest der Nacht. Es geht nicht anders. Dann setzt du dich eben vor deinen „Wigwam“ und hältst Nachtwache.

 

Zwei alleine in einem Raum:

Ich glaube, ich gehe jetzt mal raus,

wir sind einfach zu viele auf engstem Raum.

Deine Gespräche mit Dir,

und dann bin ich auch noch da.

Da kommt man sich ständig in die Quere

 

Als ich in dem Café auf die Toilette ging, stand überall: Videoüberwachung. Habe ich mich vorsichtshalber der verschlossenen Toilettentüre nochmals versichert, aber zuvor alle Lichter ausgemacht.

 

 

 

 

 

 

 

 

Christiane Dosseh, Das Schweigen

 

Ich sitze hier und schweige

Bin stumm,  weil ich nichts zeige

 

Bin still und in mir doch ganz voll

Weiß nur nicht, wie ich´s sagen soll

 

Wie sag ich’s  meinem Kinde

Das ich ganz heimlich in mir finde

 

Das klein und zart und ängstlich ist

Das nicht geführt an lieber Hand

 

Das   ganz zerschlagen mit Gewalt

Das weint und schreit und es verhallt

Ganz  unerhört ungehört

 

Und nicht gesehen, nicht geahndet

 

Dies Kind in seiner Welt

Hat sich alleine aufgestellt

Es steht auf morschem Grunde

Es zeigt nicht seine Wunde

 

Und weiß nur, ich bin fremd und unverstanden

Mir kam mein Wesen ganz abhanden

 

Was finde ich, was möcht ich sein

Allein – allein- allein

 

Soviel einsam ist zu viel

Doch ich kann nicht sein in eurem Spiel

 

Hilf mir, das Spiel hier zu verstehn

Ich möcht so gern ein Stückchen weitergehn

 

 

Christiane Dosseh, Bananenrepublik

 

Welch ein Wort das mal war: Bananenrepublik!

Damit bezeichneten wir recht von oben herab die ehemaligen kolonialisierten Länder , deren Waren und Kultur uns attraktiv, exotisch, begehrlich aber nicht teuer waren.

Machtvoll, übermächtig, verleibten wir uns Kaffee, Kakao, Bananen, Reis, Tee, Bodenschätze, Landbesitz, auch Arbeitskraft und Menschen ein.

Unser Umgang war bestimmt von Eigennutz, Kontrolle, Ausbeutung, Gewalt. In unserer Haltung wurde das ganz unkritisch, gar beiläufig und unreflektiert, auch mehrheitlich einfach so geschehen gelassen.

Mit Hochmut und Belächeln bewerteten wir die gesellschaftlichen Regeln der Drittweltländer, ihren Standard, ihre religiösen und politischen Strukturen.

Das waren für die Eroberer die Zurückgebliebenen, die Schwachen, die Armseligen, gar Primitiven. Sie waren leicht zu kontrollieren, zu verführen, zu kasernieren. Sie wurden und werden ausgebeutet und ganz unpassend an den Gegebenheiten der ersten Welt gemessen und abgewertet.

Es ist und wird so bleiben, dass einseitige Übermacht zu Unrecht und Willkür einladen. Zum Übervorteilen, zum Verwalten und Bestimmen von oben.

Auch wenn wir langsam unser Mindset überprüfen, wenn wir Aufstände und Revolution wahrnehmen und teilweise verstehen, wenn wir die Klagen und das sich Gehör verschaffende Organisieren sogar unterstützen – wir sind überfordert, wir sehen und handeln nicht gerecht und gleichberechtigt. Wir können das auch gar nicht vollständig! Ein Miteinander braucht Austausch, Interesse, Goodwill, soziologische Gerechtigkeit, braucht Stimme, Gehör und Reputation.

Heute gibt es noch immer Länder, die Drittstaaten genannt werden und eigene Handelsgesetze haben, zB. Ausfuhrbestimmungen. Auch wenn das gut gemeint ist, wenn es dem Schutz des Gebietes dienen soll – es gibt auch immer wieder Anlass, den Schutz zu umgehen und sich exotische Erlebnisse zu verschaffen oder diese teuer zu handeln. Heute haben wir einen Begriff dafür, der diese Haltung kritisch benennt: `Kulturaneignung`.

Auch sozialromantisch war unser Bild: Gaugins Gemälde, überwältigend schöne Natur, prachtvolle, wertvolle Tiere, Safaris, Jagden, Reiseberichte, Dokumentationen…

Mehr als besitzergreifend, vollkommen vereinnahmend waren unsere Haltung und unsere Handlungen.

Heute haben wir den Anspruch an uns selbst, gerechter und wertschätzender mit der Natur und dem Leben umzugehen. Fair trade, Schutz von Flora und Fauna, Wiederherstellung von natürlichen Lebensräumen, Gehör für Unrecht in unserer eigenen Welt, für metoo, poc… – ich glaube, es ist uns bewusst, dass dieser Text schwerlich ein Ende finden kann – doch zu welchem Schluss führt uns diese Betrachtung? Wo ist sie nun, die Bananenrepublik? Inzwischen mitten unter uns, ganz genau.

Der Verfall von Infrastrukturen, Schließung von Bädern, absolute Einschränkungen in medizinischer Versorgung, dabei Zweiklassenmedizin. der Staat schreibt architektonische Aufträge aus, bezahlt nie fertig werdendes nach Zahlen, nicht nach Brauchbarkeit und Qualität. Im millionenschweren neuen Konzerthaus fehlen auf der Damentoilette simple Haken für die mitgeführten Handtaschen – das hätte jede einfache Besucherin gewusst, dass die gebraucht werden.

Gut!- immerhin haben wir noch die Staatsführung Demokratie- aber irgendwie haben wir auch etwas von Bananenrepublik –

Und dabei haben wir noch nicht mal Bananen!                            cd.11/2024

 

Jürgen Artmann, Unter der Kastanie

Erinnerungen kennen keine Einleitung. Sie sind plötzlich da. Mir kommen sie unter einem Kastanienbaum.

Ich sehe mich als Teenager, wie ich mit anderen unter der Dorfkastanie stehe und heruntergefallene Kastanien in die Krone des imposanten Baumes schleudere. Jeder von uns hat seine eigene Technik entwickelt. Die einen werfen die Kastanie wie einen Tennisball bei den Bundesjugendspielen in der Schule. Andere drehen sich ein wenig wie beim Kugelstoßen oder beim Diskuswurf. Ziel eines jeden ist es, weitere Kastanien zu ernten. Am Boden liegen keine mehr, alles ist aufgeklaubt, der Boden voller welker herbstlicher Blätter, aber kastanienleer.

Man musste beim Werfen die Kastanien nicht direkt treffen. Es reichte, den Ast oder die Blätter zu tangieren und so einen Teil des Baumes zum Wackeln zu bringen. Für den Einsatz einer geworfenen Kastanie konnte man drei bis fünf zurück erhalten. Schütteln konnte man dem Baum wahrlich nicht. Er war fast dreißig Meter hoch und der Stamm war über zwei Meter dick. Jedes Mal, wenn weitere Kastanien heruntervielen, machte das mehrere Geräusche. Von weit oben aus der Krone herunterfallend krachte die Kastanie auf mehrere Äste, um dann unten im Laub zu landen.

Klack, klack, klack, flup war die Geräuschreihenfolge.

Die Kastanie stand auf einem zentralen Platz in unserem Dorf. Direkt daneben das Gasthaus Zum grünen Baum. Eigentlich stand sie sogar auf einer kleinen Brücke, einer Art Einhausung des Dorfbaches. Man konnte also im Bach watend unter der Kastanie durchlaufen. Ein paar Teile ihrer Wurzel sah man dort. Ansonsten hielt sich der Baum links und rechts des Tunnels im Erdreich fest. Was hatte der Baum in seinen zweihundert Jahren hier schon erlebt?

Das Gasthaus gibt es nicht mehr, abgerissen vor über zwanzig Jahren. Den Baum gibt es auch nicht mehr. Abgesägt vor noch längerer Zeit. Er war zu morsch und damit gefährlich geworden.

Klack, klack, klack, flup. Wieder hatte einer eine Kastanie abgeräumt.

Wir Kinder waren längst aus dem Alter raus, in dem wir noch mit Kastanien und Zahnstochern bastelten. Wir wollten die schönen braunen Dinger nur noch sammeln. Das Sammeln war aufregender als das Besitzen. Im Gasthaus Zum grünen Baum bestellten wir uns Pommes mit Pilzsoße für drei Mark. Manchmal eine Cola. Oder wir spielten Poolbillard. Es gab dort einen separaten Raum mit drei Tischen. Darunter einen Dreiband-Tisch.

Klack, klack, klack, flup verschwanden die kastanienbraune Sieben und die halbe braune Fünfzehn in einer Seitentasche des Billardtisches.

Ich kam immer noch mit dem Fahrrad zum Kastanienbaum, hatte kein Mofa. Wir Radfahrer waren in der Unterzahl. Die meisten waren spätestens mit fünfzehn motorisiert. Frisiert waren eher ihre Fahrzeuge als ihre Haare.

Klack, klack, klack, flup. So hörte sich manche Fehlzündung ihrer Rennmaschinen an.

Heute gibt es das gar nicht mehr, denke ich im Hier und Jetzt unter dem Kastanienbaum. Laufe ich durch den Park der Orangerie in Strasbourg, so liegen dort tausende Kastanien auf dem Boden. Viele plattgetreten oder durch die Reifen von Fahrrädern plattgefahren. Kein Kleinkind und schon gar kein Teenager kommt auf die Idee, sie aufzusammeln.

Auch als Vater sammelte ich Kastanien, erinnere ich mich. Als die Söhne sechs und drei Jahre alt waren, habe ich sogar ein Bastelbuch gekauft. Basteln mit Naturprodukten wie Kastanien, Eicheln und Bucheckern war der Titel. Wie unnötig das war. Ich hätte mich doch nur daran erinnern müssen, was ich als Kind selbst gebastelt hatte. Doch als junger Vater wollte ich alles richtig machen, und so hatte ich mir sogar eine Kastanienbastelanleitung gekauft.

Plötzlich, im Hier und Jetzt, rennt ein etwa zehnjähriger Junge an mir vorbei zum Kastanienbaum. Er hat einen kleinen Eimer in der rechten Hand.

Der wird doch nicht, denke ich mir und schlendere neugierig in seine Richtung.

Er sieht die drei Kastanien in meiner Hand und fragt mich, ob ich sie brauche. Er sammle für die Schule und sie wollen damit basteln.

Hey, was soll das jetzt? Du passt nicht in meine Geschichte, denke ich mir. Ich wollte doch erzählen, dass es solche Kinder wie dich gar nicht mehr gibt.

Ich beschließe, dass der Junge ein Zeitreisender aus meiner Jugend sein muss. Ich werde gerade Zeuge eines Zeitreise-Phänomens.

Ich sehe meine drei Kastanien lange wehmütig an, werfe dann aber zwei Kastanien in seinen Eimer. „Zwei meiner drei Kastanien kann ich dir geben“, sage ich schließlich. „Aber eine möchte ich behalten.“ Der Junge bedankt sich artig.

Klack, klack, klack, flup macht die Zeitmaschine. Und schon ist der Junge wieder weg.

 

Gerard Baron von Sachsen, Der Engelsbrunnen

Nebelpferde schreiten über der Tauber,

Nebelherden traben über dem Main.

Die Dämmerung verweilt in rotem Zauber,

Von Rebenstöcken tröpfelt bald der Wein.

 

Begeistert räkelt sich der junge Morgen,

Springt und tanzt vor Freude durch die Gassen.

Noch halten sich die Wertheimer verborgen,

Spatzen tummeln sich auf den Terrassen.

 

Bäckermeister pfeifen eine Melodie,

Kirchenglocken bimmeln ihren Glauben.

Fensterläden öffnen sich in Euphorie,

Um den Engelsbrunnen flattern Tauben.

 

So ist es schon seit fast 500 Jahren,

So wird es auch in Zukunft immer sein.

Weil Brunnen-Engel diese Stadt bewahren,

Vor Fluten von der Tauber und vom Main.

 

 

Gerard Baron von Sachsen, Wertheim Erwacht

Kaum hat der Mond sein Licht verborgen,

Da schaukelt schon der bleiche Morgen,

Auf einem Stuhl aus Perlmutt-Schnecken,

Hinter rosa Wolkendecken.

 

Der Tag vertreibt die letzten Sterne,

Die Uhr erlischt die Stadtlaternen.

Hell und Dunkel wechseln mühelos,

Wind und Wellen schweigen atemlos.

 

Auf der Tauber treibt ein Fischerkahn.

Am Ufer ruht ein schwarzer Schwan.

Der Main trägt eine Nebelschwade,

Noch schläft die stille Promenade.

 

Die Sonne will die Nacht verführen:

Gähnend rekeln sich die Türen,

Träge blinzeln Fensterläden,

Fachwerk hängt an Silberfäden.

 

Dann, auf Melodie und Takt der Ruhe,

Klicken schnelle Stöckelschuhe.

Rhythmisch, magisch und mit viel Esprit,

Klingt Wertheims Morgen-Symphonie.

 

 

Gerard Baron von Sachsen, In die Pilze gehen

 

Also, da bin ich, der Holländer, der von “In die Pilze gehen” noch nie was gehört hat. Klingt wie ein verdammter Witz, aber Stefanie, meine Frau, die ist wild drauf. „Das machen wir hier so “, sagt sie, und ich denk mir nur, „Ja klar, ab in den Wald, Pilze suchen, was kann schon schiefgehen?“

Wir fahren also in den Spessart, mitten in den Wald, parken auf irgendeinem Drecksweg, der aussieht, als wäre er direkt aus einem Horrorfilm. „Hier wird keiner von uns je wiedergefunden “, denke ich, aber Stefanie? Die ist Feuer und Flamme. Sie hat alles dabei – Pilzbuch, Körbchen, und natürlich Walkie-Talkies, weil, ja, wer braucht schon Handys, wenn man sich in den deutschen Wäldern verliert?

Wir gehen los, sie in die eine Richtung, ich in die andere, und ich hab keinen blassen Schimmer, was ich überhaupt suchen soll. „Pilze, klar “, sagt sie, aber hey, ein Pilz ist ein verdammter Pilz, und ich hab in meinem Leben mehr Käse als Pilze gesehen.

Nach etwa 10 Minuten, ich hab natürlich nichts gefunden, fängt mein Walkie-Talkie plötzlich an zu knistern. Aber das war nicht Stefanie, nein, es war irgendein Italiener. Der Typ plappert irgendwas ins Gerät, und ich denk mir: „Das wird lustig.“ Also antworte ich ihm, weil, warum nicht? Ich erzähl ihm, dass ich die Bullen im Wald gesehen habe, und dass ich die Drogen verstecken muss. Ja, richtig, nur so zum Spaß. Und Stefanie? Die hört natürlich die ganze Scheiße mit, weil sie auch das Walkie-Talkie auf derselben Frequenz hat. Aber sie spricht kein Wort Italienisch. Sie denkt, ich hätte die verdammte russische Mafia am anderen Ende. Panik bricht aus. „Wir müssen hier raus!“, ruft sie, und ich? Ich denk mir nur: „Kein Bock auf Diskussion, lass sie in dem Glauben.“

Also rennt Stefanie durch den Wald, schwitzt wie blöd, und ich latsche gemütlich hinterher, denn hey, die Mafia hat uns nicht gefunden, aber Stefanie glaubt fest daran.

Zurück zum Auto, und los geht die Fahrt, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter uns her. Aber das war noch nicht das Beste.

Zuhause angekommen, kocht Stefanie ne Pilz-Sahne-Soße mit Tagliatelle. Ich sag dir, das Zeug war fantastisch. Aber etwa eine Stunde später, da fängt der Spaß erst richtig an. Ich hab’s noch nie erlebt, aber einer dieser verdammten Pilze muss wohl magisch gewesen sein. Plötzlich wird alles bunt, die Wände bewegen sich, und Stefanie und ich? Wir trippen uns den Kopf weg. Keine Ahnung, ob’s der Pilz war oder der Wahnsinn, aber wir schmecken Farben, Formen, alles tanzt und wir mit.

Es ist verrückt, wie in einem verdammten Cartoon, nur, dass wir die Hauptfiguren sind. Irgendwann landen wir im Bett, aber das Bett dreht sich, wie ein Karussell auf Crack, und wir halten uns fest, als wären wir auf der Fahrt unseres Lebens. Lachen, Staunen, und irgendwie auch ein bisschen Angst, aber hey, das war das Abenteuer, das ich nie erwartet hätte. Als der Morgen endlich anbricht, ist der Trip vorbei. Der Kopf brummt, aber Stefanie? Die grinst, und ich auch. „Sollen wir noch mal in die Pilze gehen?“ Und weißt du was? Wir sind wieder los.

 

Volker Sebold, Einer wie er

Ich wende mein blasses Gesicht vom Bildschirm des Laptops ab. Erschöpft greife ich mit beiden Händen nach dem Gehäuse und klappe den Rahmen nach unten. Ich atme hörbar aus. Die Hausarbeit ist erledigt. Ich bin zuversichtlich, dass ich eine gute Note bekomme. Schließlich habe ich sehr viel Zeit investiert. Und Mathe ist eh meine Stärke. Mein Blick wandert zur Wand. Ich richte den Strahl der Schreibtischlampe auf das überdimensional große Poster.

Ich hatte vorsichtig die Klammern gelöst, die den Star in der Mitte der Zeitung zusammenhielten. Um ihn nicht zu verletzen. Eine Jugendzeitung hatte eine alte Tradition wiederaufleben lassen. Zehn Hefte hatte ich benötigt, bis ich mein Idol vollständig beisammenhatte. Vater hatte gelacht und Mutter vergnügt gejauchzt, als sie an David Cassidy hatte denken müssen, den in ihrer Jugend nahezu alle weiblichen Teenager angeschmachtet hatten. Ich habe nur gelangweilt mit den Schultern gezuckt.

Ich neige den Kopf zur Seite. Der Star in Aktion. Das linke Knie leicht angewinkelt, auf dem Sprung nach oben. Das trifft es. Der Sprung nach oben. Von der Provinz in die USA. Von Würzburg nach Dallas. Ein Held. Mein Held.

Der Star fixiert das Netz. Beide Hände umklammern einen braunen Ball. Er ist bereit das Spielgerät im gegnerischen Korb zu versenken. Der Mundschutz unterstreicht die Aggressivität des Angriffs. Die Haare wild lockig. Ich bin stolz auf Dirk. Der beste europäische Spieler in der Geschichte der NBA und erster Europäer, der als wertvollster Player in die nordamerikanische Basketballprofiliga gewählt wurde. Nowitzki, ein Playmaker, ein Offguard und Center in einer Person.

Ich streiche das ärmellose Sportshirt glatt. Er riecht nach Schweiß. Die Anstrengung des Lernens kriecht durch die Synthetik. Auf dem Rücken leuchtet weiß die Nummer aller Nummern: „DALLAS 41“. Es ist schon ein bisschen her, als sie endlich die Meisterschaft geholt hatten. Doch auch ein Star wird älter. Er war im Team die Lichtgestalt. Um ihn drehte sich das Spiel. Ohne ihn waren die „Mavs“ nichts wert. Jetzt ist er im sportlichen Ruhestand. Und immer noch ein Sympathieträger. Ich würde gerne sein wie er.

Ich schaue zum Bett. Betrachte das Kissen, das so viele Tränen auffangen muss.

Die Mutter ruft nach mir. Ich habe gar nicht bemerkt, dass Vater von der Arbeit nach Hause gekommen ist. Das Abendbrot ist fertig. Ich knipse die Lampe aus.

Schiebe mit der linken Hand das Rad leicht nach hinten, bewege den Stuhl um 45 Grad zur Seite.

Dann rolle ich hinüber ins Esszimmer.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Irena Hofmogel, Marta – Ein Krimi-Märchen.

 

Marta winkt ihrer Tochter und ihrem Enkel zum Abschied, Ihr ganzes Gesicht strahlt vor Freude. Seufzer! Jetzt muss sie sich aber sputen, die Dinos auf Fensterbank zurückstellen,  Rasen mähen, Kochen. Vor dem Wohnzimmerfenster muss sie genau mähen, hinterm Haus – das kann Sie morgen nachbessern.

Oh , die Messer sind stumpf am Rassenmäher, so kann sie den Rasen nicht genau und perfekt machen. Geschafft!!

Jetzt noch Mittagsessen. Ihr Mann liebt die Bratkartoffeln aus der Gusseisenpfanne. Das wird heute nichts daraus, sie hat zu lange mit ihrem Enkel gespielt und mit ihrer Tochter geplaudert, Er wirds überleben, bekommt Kartoffeln aus der Alupfanne. Punkt.

Werner Kommt immer pünktlich nach Hause – Beamter! Sie holt ihm die Hausschuhe schnell und stellt dass Essen auf dem Tisch. Der Herr setzt sich an den Tisch und gleich wird verzieht sich sein Gesicht! Was ist das für Kartoffelmatsch? Hast immer noch nicht gelernt zu kochen? Wie oft muss ich dir das noch sagen, und du kapierst es einfach nicht.

„Ich habe keine Zeit gehab!‘ „Keine Zeit, keine Zeit, immer die faulen Ausreden!“

Stille .

Sie geht zum Fenster und schaut die Dinosaurier-Figuren an. Auf der Fensterbank dürfen keine Blumen stehen Sie versperren die Aussicht. Kamala Harris hat die Wahl verloren in Amerika“-sagt Marta mit ruhiger Stimme,

“Woher weißt Du das? Du, gerade du. Du, die keine Ahnung von der Politik hat?“ – schreit Werner ironisch.

Es steht auf der ersten Seite in der Zeitung“, antwortet Martha mit geduckter Stimme.

„Seit wann liest Du Zeitung? Dass ich nicht lache!!

Kannst Du überhaupt lesen?“ Lachen, Lachen, grimmiges Lachen.

Gespenstische Stille !.._.

Weißt Du, das deine Gefühle riechen können?

Plötzlich kommt ein starker Geruch in die Nase, und du kannst es nicht identifizieren : Kloake?

Neinirgendwelcher Unrat? Es wirkt so schnell und ist so streng, im Nu musst du aufhören zu atmen. Die Lunge ist voll und verstopft.

Der Magen, die Gedärme ziehen sich zusammen.

Du verkrümmst dich zur Hälfte, und dann das Gehirn! Spüre ich noch was, registriere ich noch was?.. Ohnmacht!!!

Das Gefühl heißt Ohnmacht!!!!

Du kennst das Gefühl und den Geruch von früher, das ist nicht das erste Mal … Pause Ein Geräusch – was war das? Martha macht die Augen auf und sieht zwei Kinder im Garten. Die tragen was Größeres und legen es ab – mit deutlicher Anstrengung.

 

Es war grau. Ein Stein? Mit ihrem ganzem Körper stellt sich Martha vor das Fenster. Ihr Mann darf das nicht sehen.

Er war schon angezogen im Gang, bereit für seine tägliche Kneipentour.

Ausatmen ..

Noch mal eine Minute abwarten und dann los, in den Garten. Die Kinder sind Verschwunden, aber hinten, bei den Tujas liegt was Großes, Ovales, grau-weiß. Ein große Ei? Sie berührt es mit Wärme. Herzwärme. Sie möchte das Ei, berühren, umarmen!! Sie legt das Ohr auf das Eis und hört Geräusche. Eindeutiges Pochen.

Es muss hier weg, sie schiebt es vorsichtig zwischen die Tuja und bedeckt es mit einer grünen Decke. So kann es bleiben.

Und so vergingen Tage. Marta beobachtet mit Feuer und Flamme das Er, ob-es warm ist, ob es groß wird, ob es innerlich immer noch pocht: Und es pocht.. Pocht immer stärker.

Werner geht tagtäglich arbeiten und er macht seine Rundgange in der Ortschaft. Er merkt gar nichts. Es wirdl Herbst. Der Rasen wird braun, die Bäume verlieren ihre bunte Blätter, nur die Tujas bleiben grün. Marta merkt seit ein paar Tagen, dass das Ei sich leicht bewegt. Neugierig schaut sie unter die Decke und entdeckt tiefe Risse. Am nächsten Tag ist es soweit. Manta zieht die Decke hoch und plötzlich bekommt sie einen Schlag auf den Arm.

Noch ein Schlag und ein Riesenschwanz zertrümmert mit kräftigen Bewegungen die Eierschale. Das Tier ist gar nicht so winzig, es sieht aus wie ein Tyrannosaurus Rex mit Riesenkopf und starkem Schwanz. „Was gebe ich ihm zu essen, das ist doch ein Fleischfresser“, fragt sich Martha. Der Metzger hat sein Geschäft noch nicht geschlossen. Sie kauft

3 Kilogramm Hackfleisch. Etwas ängstlich legt sie das Fleisch und beobachtet wie schnell es weg ist.

Der Dino schaut sie mit Riesenaugen an und streckt seine  zweifingrigen Hände nach mehr. Oh nein, heute muss es reichen. Etwas Wasser vielleicht?

Der Eimer war auch im Nu Leer, Marta wird zur Dauerkundin beim Metzger und holt alle mögliche Reste ab. Der Tyrannosaurus wächst, bald kann man ihn nicht mehr verstecken.

Was macht man jetzt, soll sie den Dino davonjagen?

Aber wohin ? Und eigentlich mag sie ihn doch so sehr.

Er ist zutraulich geworden, leckt ihre Füße und Hände mit seine rauhen Zunge. Ihre geheimen Ersparnisse sind leider fast weg. Voller Sorge legt Martha sich etwas früher ins Bett. Oh! Da kommt Werner und schreit auf der Treppe. Nein, hoffentlich lockt er nicht den Díno an. Doch !!

Ein Geschimpfe , ein Geschreie , ein Krach.

Plötzlich Ruhe, Ungeheure Ruhe.

Marta bleibt liegen, sie traut sich nicht aufzustehen.

Am nächsten Morgen steht sie auf, geht in den Garten. Vom Dino und von Werner keine Spur. Nichts, nur ein menschlicher Kiefer liegt auf der Wiese, Die Implantate waren dem Dino zu hart.

Sie wirft den Kiefer in der Restmülltonne, die wird heute abgeholt.

Wie gehts weiter? Martha verkauft das Häuschen und zieht in eine Stadt in eine kleine Wohnung.

Dort lebt sie glücklich bis heute.

Süße, süße , süße Freiheit!

 

 

 

Nadine Schmid, Lebensweisheiten für Lebenszeiten

Es gibt viele Weisheiten zum Thema Zeit. In wie weit betreffen sie mich und meine Lebenszeiten? Sind es sinnfreie Glückskeks-Sprüche oder bringen sie mich weiter?

Wollen wir mal sehen:

„Hat alles seine Zeit“ – ja, mit Sicherheit. Oder wollten Sie noch mal 18 sein? Einerseits sicher reizvoll, andersrum, will man nochmals den ganzen Ausbildungs- und Prüfungsmarathon durchleben und durchleiden, der einen an die Stelle gebracht hat, an der man jetzt steht?

Die erste große Liebe – sicher, gerne, sofort nochmal. Aber der erste große Liebeskummer?

Und sicher gibt es auch Zeiten in unserem Leben, die wir nicht mehr erleben wollen. Krankheit, Trennungen, Enttäuschungen, Trauer. Und doch, im Rückblick gehören auch sie zu unserer Geschichte.

 

„Zeit ist Geld“ – ja, money, money, money. Den Satz finde ich eigentlich eher traurig. Denn wenn man Zeit nur in Geldwert aufwiegt, ob man dann viel Freue an seiner Lebenszeit hat?

 

„Die Zeit heilt alle Wunden“ – Das ist ein ganz dämlicher Satz, den keiner hören will, dem es gerade schlecht geht. Und doch steckt vielleicht ein bisschen Wahrheit drin. Nein, manche Wunden kann man nicht heilen, aber vielleicht wird die Narbe mit der Zeit schwächer, wenn wir uns neuen Erfahrungen und Erlebnissen zuwenden.

 

„Kommt Zeit, kommt Rat“ . noch so ein Superspruch, den man sicher hören will, wenn man gerade in einer kniffligen Situation oder einem Dilemma steckt. Und ein gefährlicher Satz aus meiner Sicht. Denn er lädt quasi zur Passivität ein, nach dem Motto: „Das wird schon, egal, was du tust.“ Finde ich als aktiver Mensch, der gerne selbst die Zügel in die Hand nimmt, eher schwierig.

 

„Zeiten ändern sich – The times they are a-changing“. Das ist wohl das, was, man eindeutig bejahen kann. Zeiten ändern sich – in unserem Privatleben oder auf der ganzen Welt. Wer hätte zum Beispiel vor 20 Jahren gedacht, dass wir uns irgendwann von überall in Sekundenschnelle mit Text-, Sprach- und sogar Bildnachrichten bombadieren – mal sinnvoll, mal weniger sinnvoll. Oder dass wir statt Telefon, Briefpapier, Taschenlampe, Taschenrechner, Geldbörse nur noch ein Gerät haben. Sicher, das ist nicht nur positiv. Wie alles hat es positive und negative Seiten.

 

Deshalb geht es darum, nicht zu klagen, sondern sich immer den Herausforderungen anzupassen, Krisen zu bestehen und vor allem – seinen Humor und Optimismus nicht zu verlieren. In diesem Sinne:

 

Nutzen Sie Ihre Zeit und bleiben Sie optimistisch.

Und natürlich hoffen wir, dass dieser Abend für Sie keine Zeitverschwendung war, sondern eine humorvolle Bereicherung Ihrer Lebenszeiten.

 

 

Mutters Rockzipfel, lässige Yankees und ein Spielplatz im Jahr 1945

von Franz Seitz (84) Urphar

 

Man schreibt das Jahr 1940 und wir versetzen uns gedanklich in ein idyllisch gelegenes Dorf im bayerischen Schwabenland. Es ist Sommer, Sonntag und Frühschoppenzeit. In der „Inneren Taverne“ politisieren betagte Stammtischbrüder und witzeln nebenbei: „Den Bub von unserer Wirtin hat sicher der Storch gebracht.“ Meine viel ältere Halbschwester, die dort immer bediente, erzählte es mir Jahre später. Zum besseren Verständnis sollte ich hinzufügen, dass meine Eltern, die den Gasthof neben Landwirtschaft und Brauerei betrieben, damals mit 72 bzw. 42 Jahren nicht mehr die Jüngsten waren und dass bei meiner Geburt in der Tat Störche auf Vaters Sudhaus nisteten. Allerdings ist nachweisbar, dass ich unter tatkräftiger Hilfe der Dorfhebamme ans Tageslicht befördert wurde. Zwei Wochen später wurde ich dann in der barocken Martinskirche nach katholischem Ritual von einem seinerzeit wohl sehr beliebten Pfarrer getauft. Ein richtiger „Seelen-Kümmerer“ soll er gewesen sein und dazu des öfteren in geselliger Runde mit den Mannsbildern einen Schafkopf in der Taverne geklopft haben. Somit ist auch geklärt, weshalb ich so gerne Karten spiele.

Nun ein Sprung ins Jahr 1944. Wie so oft hing ich wieder einmal an Mutters Rockzipfel „Jetzt muß ich aber hinübergehen zur Kegelbahn, um nach der Wäsche zu schauen“, meinte sie und tröstete mich mit einem kleinen Schmatz. Wie immer hatte sie noch etwas zu erledigen und war in großer Eile. In diesem Augenblick flog ein feindlicher Jagdflieger heran, Schüsse peitschten und Kugeln spritzten über den Weg. Das ging blitzschnell. Viel zu hastig sprang sie zurück und rannte etwas orientierungslos mit Wucht gegen die Hausecke des Gasthofes. Die Folge war, dass sie eine klaffende Wunde am Kopf davontrug. Auf der Aussentreppe sitzend, erlebte ich diesen sehr bedrohlichen Vorfall und er ging mir ordentlich unter die Haut, zumal es die liebe Mama betraf. Im selben Jahr, an einem Winterabend, nahm sie mich bei der Hand und eilte mit mir hinauf zur oberen Scheuneneinfahrt. Dabei erklärte sie mir, dass Ulm gerade bombardiert wird und die Anderen schon oben wären. Dort standen viele Leute und lamentierten sinngemäß, dass die armen Ulmer nun wohl Schlimmes zu erleiden hätten. Der Horizont war feuerrot, das Inferno etwa zehn Kilometer entfernt In dieser Nacht wurde die schöne Donaustadt fast völlig zerstört. Einem Wunder gleich, blieb das Münster , mit dem immer noch höchsten Kirchturm, weitestgehend unbeschädigt. Ein halbes Jahr später besetzten die Amerikaner, von dort kommend, dann auch unser Dorf.

Von irgendeinem Verantwortlichen wurde meine Familie aufgefordert das Anwesen zu verlassen, da es den Besatzern zur Verfügung stehen müsse. Lediglich die Fremdarbeiter könnten bleiben, um auf Pferde, Kühe, Schweine usw. aufzupassen. Alles Wertvolle wurde nun schnell zusammengetragen und ich durfte auch mithelfen, das Silberbesteck im Gemüsegarten unter den Himbeerstauden zu vergraben. Bleibe fanden wir beim Huf-Schmied, der schon seit vielen Jahren unsere Pferde beschlug und die vielen Gerätschaften des Hofes reparierte. Zum Essen gab es Brot, Butter, Pellkartoffel und Stinkkäse. Geschlafen wurde in Liegestühlen, die man in der Bauernstube aufstellte. Das gefiel mir alles sehr gut, den es war für mich ein spannendes und abenteuerliches Erlebnis. Die Eltern machten sich jedoch große Sorgen um Haus und Hof. Kurz nachdem wir uns in unserem „Exil“ eingerichtet hatten, sahen wir eine Jeep/Laster-Einheit, die in Nachbarschaft zu uns ein Lager aufschlug. Direkt neben dem Bullenstall, wo der Gemeindebulle üblicherweise die örtlichen Kühe zu „beglücken“ hatte. Geschossen wurde nicht. Alles blieb ruhig. Als wir am nächsten Tag zurückkehren durften, konnten wir feststellen, dass keine größeren Verwüstungen verursacht wurden. Vater hatte mit

viel Schlimmerem gerechnet. Allerdings wurde sein Sekretär aufge-brochen und das Luftgewehr meines Bruders, der zu dieser Zeit noch in Gefangenschaft war, lag zertrümmert auf dem Fußboden. In der Gaststube in allen Ecken, auf Tischen und Bänken leere Schnaps-, Bier- und Weinflaschen. Also ein gewisses Durcheinander herrschte schon vor. Erstmals kam ich jetzt in den Genuss von Schokolade. Einige Stücke fand ich unter Vaters Sitzkissen auf der Lederbank im Nebenzimmer. Im Dorf blieben nur wenige GIs als sogenannte Nachhut. Wir Buben bestaunten die Yankees, wie sie lässig auf ihren Jeeps saßen, Kaugummi kauten, dabei noch eine Lucky-Strike im Mundwinkel und den Helm recht unordentlich nach hinten geschoben. So sahen also Sieger aus! Oft warfen sie uns einen Chewing Gum zu, den wir natürlich begeistert auffingen. Spürbar hellte sich die zuvor angespannte Situation auf. Sinngemäß laberten in den Wochen davor die alten Stammtischbrüder: „Der Krieg ist verloren! Alles ist verloren! Deutschland kommt nie mehr auf die Beine! Die Sieger werden unerbittlich sein!“ Jetzt konnten sie aber feststellen, dass die Amerikaner faire Besatzer waren. Schlimm erging es allerdings einigen aktiven Dorf-Nazis. Jetzt schaffte sich der Zorn von Bürgern, die darunter gelitten hatten, freie Bahn. Auf der Aussentreppe des Gasthofes sitzend, konnte ich alles gut verfolgen. Einzeln abgeholt und dann in einem Schweine-Anhänger sitzend, rannte man mit ihnen durchs Dorf. Die Schreie eines Hitler-Aktivisten hatte ich danach noch lange im Ohr. Ähnlich einem Schwein vor der Schlachtung waren seine Schreie zu hören. Er hatte wohl fürchterliche Angst, gelyncht zu werden Dies geschah jedoch nicht und einige Wochen später saß er schon wieder in der Taverne und palaverte davon, dass der „Adolf“ noch leben würde und in einem U-Boot nach Südamerika entkommen sei.

Herumliegendes Kriegsgerät weckte natürlich das Interesse von uns Buben. Die nördlich vom Ort liegende Kiesgrube, in welcher der ganze Schrott abgeladen wurde, entwickelte sich nun zu unserem neuen Spielplatz. Dort lagen Leuchtraketen, Wrackteile von Flugzeugen, Gewehre u.v.a.m. Dass es dort für uns gefährlich sein könnte, daran dachten wir überhaupt nicht. Hinzukam, dass die Erwachsenen sehr mit sich selbst beschäftigt waren und keine Zeit hatten, um auf uns aufzupassen. Die Folge war, dass in der Kiesgrube ein schreckliches Unglück geschah. Zufällig war ich an diesem Tag nicht dabei. Allerdings mein Namenskollege, der kleine Franzl vom Kolonialwaren-händler.Er wollte eben auch mitspielen. Die etwas älteren Buben hatten jedoch etwas dagegen und spaßeshalber nahm ihr Anführer einen herumliegenden Karabiner zur Hand und befahl ihm nach Hause zu gehen, andernfalls er auf der Stelle erschossen würde. Der unglück-liche Bedroher ahnte nicht, dass das Gewehr geladen war. Nach nochmaliger Aufforderung drückte er ab. Ein Schuß löste sich und die Kugel traf den Franzl in den Bauch.Wie ein Lauffeuer verbreitete sich dieses schreckliche Ereignis im Dorf. An der Verletzung verstarb mein Nachbarsfreund dann kurze Zeit später. Es war eine große Tragödie für seine Eltern. Sie verloren ihr einziges Kind. Mit drei anderen Buben wurde ich ausgesucht, bei der Beerdigung den kleinen weißen Sarg zu tragen. Später kam ich noch oft in den Laden der leidgeprüften Eltern um für die Mama Bestellungen zu erledigen. Meistens war Franzls Mutter im Laden. Traurig sprach sie dann mit mir und sah mich mit Tränen in den Augen an. Sie konnte den Verlust ihres einzigen Kindes nie verschmerzen.

Anfang 1946 erreichten die ersten Vertriebenen aus dem Sudetenland unseren Ort. Zum Herbst hin wurde der Zustrom stärker. Jetzt kamen auch die Flüchtlinge aus Schlesien und Ostpreußen. Die Einwohnerzahl verdoppelte sich von 500 auf 1000. Leider begann in diesem Herbst auch mein erster Schultag. Aber dies ist eine andere Geschichte.

Kindheit im Unterdorf

 

Der zweite Schultag

Reinhard war mein einziger Schulkamerad, groß, stark und ruhig, ein Bauernsohn aus dem Altdorf. Wir beide mussten uns im Laufe unserer Zeit in der Volksschule gegen mehrere temperamentvolle Mitschülerinnen behaupten.

Schon am ersten Schultag hatte es uns nicht gefallen, dass Schlemanns Christa mit einem

beeindruckenden „tuff tuff tuff die Eisenbahn“ das Äußerdorf hereinstürmte, den Ranzen auf dem Rücken und uns beide, v.a. mich, ignorierte. So war es denn beschlossene Sache, sie zur „Ordnung zu rufen“. Der zweite Schultag war gekommen und schon hörte wir die weibliche Lokomotive heranstürmen.

Reinhard und ich versteckten uns halbwegs hinter dem Bildstock am Seifrieds-Anwesen unterhalb der Schule. Wir bemerkten den Lehrer nicht, der über uns aus dem Schulfenster auf die Dorfgasse schaute und das Treiben dort im Auge hatte. Kaum rauschte die Lokomotive an uns vorbei, ohne uns zu bemerken bzw. zu beachten, war es schon um ihre unfallfreie Fahrt geschehen: Rudi und ich stellten uns ihr in den Weg, es gab einige Schubsereien und viel Geschrei, der Lehrer beobachtete alles. Eine eindringliche Ermahnung für uns Buben folgte.

 

 

Die rechtmäßige Dorf-Gang

Spannend für uns Kinder war der hintere Gartenteil, denn hier kam Mutter meist nur hin,

wenn sie etwas für die Küche brauchte oder mit Vater abends zur Entspannung gärtelte.

Dort herrschte die „Schwarze Hand“ in einem selbst eingerichteten Bretterverhau in einem

mächtigen Holunderbusch, im Garteneck zur Nachbarsscheuer. Mitglieder der „Schwarzen H.“

waren die „Begge-Buben“, deren Familie schon immer so genannt wurde, obwohl sie Schmelz

hießen. Auch der Kleffs Winfried gehörte dem Geheimbund an, alle älter als ich. Unsere

selbst auferlegte Aufgabe war es, andere, uns nicht sympathische Buben zur Rechenschaft zu

ziehen. Dies geschah derart, dass die Unsympathen gefangen wurden, oft mit Gewalt oder

Prügel. Glöcklers Robert, ein Kerl aus dem ungeliebten Neubaugebiet geriet in die Fänge

unserer Altdorf-Gruppe, der rechtmäßigen Dorf-Gang. Die „Schwarze Hand“ grub in den

hinteren Gartenteil ein mannsgroßes, ca. 40cm tiefes Verlies, abdeckt mit Blechplatten,

verdeckt mit Erde, für die Eltern auf den ersten Blick schwer zu erkennen. In dieses Loch wurde

der gefangene Glöckler hineingezwängt. Man konnte ihn nicht mehr hören. Nach langer Zeit

immer noch kein Laut, kein Betteln des Gefangenen, selbst für uns „Beherrscher“ zu lange.

Als wir Glöcklers Robert herauszogen, konnte er nicht mehr stehen, sein Gesicht war blau

angelaufen.

 

 

Siesta

Gerne packte Vater Sonntagmittags nach einem üppigen Essen eine Decke ein und ging mit uns Kindern durch die Scheune über den dahinter gelegenen Hausgarten auf einem kleinen Pfädchen

hinauf zur Wiese. Dort angekommen versuchten wir Siesta zu halten. Meist kam es so, dass Vater recht schnell einschlief, während wir Kinder alles mögliche Getier, wie Käfer, Wespen und so fort entdeckten, die Ruhe war dann von kurzer Dauer.

Mutter hatte diese Zeit genutzt und das Geschirr abgewaschen, die Küche gründlich gesäubert und manchmal den Fußboden dazu. Daher stoppte sie uns bei der Rückkehr mit lautem Rufen schon vor der Haustüre und ließ die Schuhe ausziehen.

Im Winter und bei schlechtem Wetter standen im Nebenraum zur Küche zwei Couches bereit, uns zum gewohnten Mittagsschlaf aufzunehmen. Hier begleitete uns leise Operettenmusik aus dem Radio in den Schlaf. Vater liebte Operetten und ich seit dieser Zeit ebenfalls.

 

 

Der Herr Pfarrer

Die Eltern hatten mir eingebläut, „gelobt sei Jesus Christus“ zu sagen, sollte ich dem Herrn Pfarrer auf der Dorfstraße begegnen. Gott sei Dank kam es nie vor bis auf einmal. Wir, die Buben aus dem Altdorf, größere und kleinere zusammengetrommelt, hatten vor dem Dorfbrunnen und dem Anwesen der Begga-Familie, die eigentlich Schmelz hießen, Fußball gespielt. Die Spielkameraden waren an diesem Spätnachmittag im Sommer meist schon zuhause, denn es hieß im Dorf, die Kinder haben bis sieben Uhr abends von der Straße und daheim zu sein. Ohne es zu merken, woher er gekommen war, stand plötzlich der Pfarrer vor mir. „Na, musst du nicht zuhause sein“? Ein Schreckmoment. „Gelobt sei Jesus Christus“, schnell herausgepresst. „In Ewigkeit Amen“ war die feste Antwort. „Wer bist du denn“? „Der Wolze Herbert“. Mehr an Konversation war nicht möglich, denn augenblicklich drehte ich mich um und floh ins Unterdorf ins Heim der Wolzes.

 

 

Die jüngsten und die ältesten Ministranten

Vom Körperbau nicht allzu stark veranlagt, hatte ich bei den kirchlichen

Prozessionen Schwierigkeiten, die Fahne, Standarte genannt, zu beherrschen, sobald der

Wind etwas stärker blies. Die jüngsten und meist schwächeren Messdiener trugen in Messröcken

diese Art von Fahne dem Zug der Gläubigen voraus, gefolgt von den Kindern, der Musik,

dem Geistlichen mit seinen älteren Ministranten und Oberministranten, zum Schluss reihten sich die Frauen und dann die Männer ein. Man sagt, dass ab und zu einige Männer dem Zug nicht mehr folgen konnten, sogar verloren gingen, obwohl ihnen die Umgebung sehr vertraut war…

In der Hierarchie der Messdiener standen die ältesten Ministranten ganz oben und im Laufe der Jahre dann nicht mehr die körperlich stärksten, sondern die schlauesten und mutigsten.

So verhielt es sich normal, dass sie aus dem Liturgiegläschen den Rest des Weines trinken

durften, welchen der Pfarrer nach dem Vollzug der Handlung übriggelassen hatte.

Aber wie war das möglich?

Der Pfarrer hatte die seltene Angewohnheit, seinen Messwein im Gottesdienst nicht gänzlich in den Kelch zu leeren, sondern eine kleine Menge übrig zu lassen. Genau diese Menge war das begehrte Objekt der Vorministranten und so räumten sie gleich nach dem Ende der Messfeier eilends Wasser und Wein ab. Noch während des Gehens und ohne Blickeinsicht des hohen Herrn und seines Dieners, des Küsters, wurde der Schluck getrunken, was ein gewaltiges Staunen und Bewunderung der jüngeren Ministranten hervorrief.

Irgendwann hatte der Küster diese Unsitte bemerkt und sie verboten. Der übrig gebliebene Wein wurde nun in die Sakristei gebracht, in die die Ministranten in der Regel keinen Zutritt hatten……

 

 

Die Ami kommen

Von weitem hörte man sie kommen, bevor man sie sehen konnte, ein Grollen lag in der Luft, zuerst leise, dann immer lauter. Wir Buben ließen beim ersten Hören alles liegen und stehen und rannten zu dem Bildstock am Kastanienbaum am Ortseingang. Endlich erschienen sie nach der Kurve auf der Straße von Euerbach nach Sömmersdorf, angeführt von mehreren Jeeps, auch der MP. Je mehr die Kolonne von ca. 6 bis 10 amerikanischen Sherman-Panzern sich näherte, desto mehr wuchsen diese Stahlkolosse zu einer gewaltigen Größe heran, desto stärker fingen ihre Umrisse in den Abgasen an zu flimmern. Immer mehr Leute liefen zusammen, auch Erwachsene.

Dann waren sie da, ihr Dröhnen ließ sich kaum ertragen, es war ohrenbetäubend, angsteinflößend.

Im fast 90 Grad-Winkel mussten sie in den Obbacher-Weg einbiegen und dabei die Straße hoch Gas geben. Nach dem zweiten Panzer flimmerte die Luft nur noch, alle gewohnten Umrisse schienen zu verlaufen, die Abgase stanken und reizten die näher Stehenden zum Husten.

Am Münsterholz, neben der Straße und mit Blick auf Schweinfurt, bezogen sie Stellung, die Kanonen dorthin ausgerichtet. Seinen Stellplatz schaffte sich jeder Panzer, indem er allen Bewuchs und ganze Bäume einfach niederwalzte.

In den ersten Stunden der Übung durfte sich keiner von uns bei den Soldaten aufhalten, was sich am nächsten Tag meist änderte. Die GIs hatten ihre Freude an uns Buben, beschenkten uns mit

„Tschoklät und Tschewinggum“, hoben uns auf Ihre Panzer und ließen die Mutigsten in die Fahrzeuge klettern. Die älteren Buben kauften mit großem Eifer auf Wunsch so manchen Amerikaners frische Wurst beim örtlichen Metzger und verlangten dafür Dollar. Natürlich wechselte die Metzgersfrau, die auch Wirtin war, das Geld und rechnete in D-Mark ab. Wir ließen uns viele kleinere D-Mark Scheine geben, was bei den Amerikanern bei der Rückgabe der Ware den Anschein von viel Geld erwecken sollte. Von den Scheinen behielten wir zudem einige zurück, bevor wir die „Sousitsch“ ablieferten, um dann bei der Übergabe nochmal die Hand aufzuhalten und entlohnt zu werden.

Meist haben wir den Abzug der Soldaten in einem der folgenden Nächte nicht mitbekommen, dafür musste man am Morgen danach umso schneller vor Ort sein. Denn heiß begehrt waren die sehr festen leeren Munitionsboxen aus Metall, die nach der Übung in großer Zahl einfach herumlagen. Vater verstaute darin Nägel und Schrauben. Ebenso suchten wir nach Telefondraht, den sie von Fahrzeug zu Fahrzeug gezogen hatten und der sehr stabil war. Man konnte ihn zu viel Nützlichem verwenden.

 

 

Jerry, der Hofhund

Wie Opa auf diesen, für uns Unterfranken seltsam klingenden Hundenamen kam, weiß ich

nicht. Möglicherweise nannten seine Eltern schon ihre Hofhunde so, denn bei den vielen

Tieren, die einander folgten, wurden alle so genannt mit Ausnahme des letzten Hofhundes, der

Rolf hieß. Jeden Abend band Opa oder Sohn Rudi ihren Jerry von der Leine. Wie verrückt sauste

dieser dann zwei-, dreimal über den ganzen Hof, kam kurz zu uns, beschnüffelte mich ebenso

kurz, um im Karacho wieder loszujagen. Dieses Schauspiel dauerte drei bis fünf Minuten, dann

hatte der Hund genug. Ganz anders war sein Verhalten darauf: er schnüffelte uns ab, ließ sich

kraulen und rieb sich kräftig an unseren Beinen. Tat er dies bei mir, musste ich aufpassen von

Ihm nicht um gedrückt zu werden.

Wenn es kalt wurde, verhängte Opa das Eingangsloch der Hundehütte mit einem alten Sack. Hatte der Hund Langeweile-das kam öfters vor-riss er den Sack herunter und zerriss ihn in Stücke.

War strenger Frost angesagt, durfte das Tier des nachts in den Ern des Wohnhauses einziehen. Nun verbreitete sich ein etwas strenger Geruch im Wohnhaus, worauf die Hausfrau für eine baldige Rückkehr zum gewohnten, geruchslosen Zustand sorgte.

Ganz energisch, ja richtig giftig reagierten die meisten Hofhunde auf Fremde. Als Wachhunde angebunden direkt neben der Hofeingangspforte an einer langen Leine, meist Kette, sprangen sie mit

wütendem Gebell auf Besucher zu. Waren die Menschen nicht auf das Tier gefasst, schreckten

sie zurück und trauten sich kein zweites Mal hinein. Beide Bauersleute waren mitunter stundenlang zusammen auf dem Feld außerhalb des Ortes und so blieb der Hof daheim unbeaufsichtigt und der Hund musste den besten Wächter abgeben. Ein Jerry war damals auf jeden Hof anzutreffen.

 

Ein Streich

Eine Hangwiese mit einigen Obstbäumen hatte es uns eines Tages angetan.

Oben an der Hangkante stand einsam ein alter, ausrangierter Leiterwagen, am unteren Ende

der provisorisch eingezäunten Wiese begrenzte der Hauptweg zum alten Steinbruch das

Gelände. Nun galt es den schweren Leiterwagen so zu bewegen, dass er den Hang hinabstürzte

und unten auf dem Weg zum Stehen kam, er sollte den Weg blockieren. Gesagt, getan.

Mit vereinten Kräften, mit großen Mühen bewegten wir das Gefährt und brachten es in die

Senkrechte. Der Wagen fuhr langsam los, wurde schneller und schneller. Mit einem Ruck

brach die Vorderachse aus und als Ziel und zugleich Endstation kam nur der nächste

Apfelbaum in Betracht. Der Wagen traf den Baum und zerbrach in mehrere Stücke. Einige

Teile kullerten bis zur Straße hinunter und auf die Straße. Blankes Entsetzen erfasste uns.

Nichts wie weg. In alle Richtungen rannten wir auseinander. Ein Kamerad floh mit mir in

Richtung alter Sportplatz. Dort angekommen, war uns der Abstand zum Übel noch nicht weit

genug. Weiter ging es auf dem Brebersdorfer Weg, immer im schnellen Laufschritt als wenn

man uns jeden Moment an den Kragen packen würde. Irgendwann machte sich Seitenstechen

bemerkbar und das Gefühl weit genug entfernt zu sein. Zurück ins Dorf, jeder auf direktem Weg in sein Elternhaus, ich ging langsam, sehr langsam…

 

Aus „Erinnerungen eines 1951 Geborenen“ von Herbert Wolz

Kindheit im Unterdorf

 

Der zweite Schultag

Reinhard war mein einziger Schulkamerad, groß, stark und ruhig, ein Bauernsohn aus dem Altdorf. Wir beide mussten uns im Laufe unserer Zeit in der Volksschule gegen mehrere temperamentvolle Mitschülerinnen behaupten.

Schon am ersten Schultag hatte es uns nicht gefallen, dass Schlemanns Christa mit einem

beeindruckenden „tuff tuff tuff die Eisenbahn“ das Äußerdorf hereinstürmte, den Ranzen auf dem Rücken und uns beide, v.a. mich, ignorierte. So war es denn beschlossene Sache, sie zur „Ordnung zu rufen“. Der zweite Schultag war gekommen und schon hörte wir die weibliche Lokomotive heranstürmen.

Reinhard und ich versteckten uns halbwegs hinter dem Bildstock am Seifrieds-Anwesen unterhalb der Schule. Wir bemerkten den Lehrer nicht, der über uns aus dem Schulfenster auf die Dorfgasse schaute und das Treiben dort im Auge hatte. Kaum rauschte die Lokomotive an uns vorbei, ohne uns zu bemerken bzw. zu beachten, war es schon um ihre unfallfreie Fahrt geschehen: Rudi und ich stellten uns ihr in den Weg, es gab einige Schubsereien und viel Geschrei, der Lehrer beobachtete alles. Eine eindringliche Ermahnung für uns Buben folgte.

 

 

Die rechtmäßige Dorf-Gang

Spannend für uns Kinder war der hintere Gartenteil, denn hier kam Mutter meist nur hin,

wenn sie etwas für die Küche brauchte oder mit Vater abends zur Entspannung gärtelte.

Dort herrschte die „Schwarze Hand“ in einem selbst eingerichteten Bretterverhau in einem

mächtigen Holunderbusch, im Garteneck zur Nachbarsscheuer. Mitglieder der „Schwarzen H.“

waren die „Begge-Buben“, deren Familie schon immer so genannt wurde, obwohl sie Schmelz

hießen. Auch der Kleffs Winfried gehörte dem Geheimbund an, alle älter als ich. Unsere

selbst auferlegte Aufgabe war es, andere, uns nicht sympathische Buben zur Rechenschaft zu

ziehen. Dies geschah derart, dass die Unsympathen gefangen wurden, oft mit Gewalt oder

Prügel. Glöcklers Robert, ein Kerl aus dem ungeliebten Neubaugebiet geriet in die Fänge

unserer Altdorf-Gruppe, der rechtmäßigen Dorf-Gang. Die „Schwarze Hand“ grub in den

hinteren Gartenteil ein mannsgroßes, ca. 40cm tiefes Verlies, abdeckt mit Blechplatten,

verdeckt mit Erde, für die Eltern auf den ersten Blick schwer zu erkennen. In dieses Loch wurde

der gefangene Glöckler hineingezwängt. Man konnte ihn nicht mehr hören. Nach langer Zeit

immer noch kein Laut, kein Betteln des Gefangenen, selbst für uns „Beherrscher“ zu lange.

Als wir Glöcklers Robert herauszogen, konnte er nicht mehr stehen, sein Gesicht war blau

angelaufen.

 

 

Siesta

Gerne packte Vater Sonntagmittags nach einem üppigen Essen eine Decke ein und ging mit uns Kindern durch die Scheune über den dahinter gelegenen Hausgarten auf einem kleinen Pfädchen

hinauf zur Wiese. Dort angekommen versuchten wir Siesta zu halten. Meist kam es so, dass Vater recht schnell einschlief, während wir Kinder alles mögliche Getier, wie Käfer, Wespen und so fort entdeckten, die Ruhe war dann von kurzer Dauer.

Mutter hatte diese Zeit genutzt und das Geschirr abgewaschen, die Küche gründlich gesäubert und manchmal den Fußboden dazu. Daher stoppte sie uns bei der Rückkehr mit lautem Rufen schon vor der Haustüre und ließ die Schuhe ausziehen.

Im Winter und bei schlechtem Wetter standen im Nebenraum zur Küche zwei Couches bereit, uns zum gewohnten Mittagsschlaf aufzunehmen. Hier begleitete uns leise Operettenmusik aus dem Radio in den Schlaf. Vater liebte Operetten und ich seit dieser Zeit ebenfalls.

 

 

Der Herr Pfarrer

Die Eltern hatten mir eingebläut, „gelobt sei Jesus Christus“ zu sagen, sollte ich dem Herrn Pfarrer auf der Dorfstraße begegnen. Gott sei Dank kam es nie vor bis auf einmal. Wir, die Buben aus dem Altdorf, größere und kleinere zusammengetrommelt, hatten vor dem Dorfbrunnen und dem Anwesen der Begga-Familie, die eigentlich Schmelz hießen, Fußball gespielt. Die Spielkameraden waren an diesem Spätnachmittag im Sommer meist schon zuhause, denn es hieß im Dorf, die Kinder haben bis sieben Uhr abends von der Straße und daheim zu sein. Ohne es zu merken, woher er gekommen war, stand plötzlich der Pfarrer vor mir. „Na, musst du nicht zuhause sein“? Ein Schreckmoment. „Gelobt sei Jesus Christus“, schnell herausgepresst. „In Ewigkeit Amen“ war die feste Antwort. „Wer bist du denn“? „Der Wolze Herbert“. Mehr an Konversation war nicht möglich, denn augenblicklich drehte ich mich um und floh ins Unterdorf ins Heim der Wolzes.

 

 

Die jüngsten und die ältesten Ministranten

Vom Körperbau nicht allzu stark veranlagt, hatte ich bei den kirchlichen

Prozessionen Schwierigkeiten, die Fahne, Standarte genannt, zu beherrschen, sobald der

Wind etwas stärker blies. Die jüngsten und meist schwächeren Messdiener trugen in Messröcken

diese Art von Fahne dem Zug der Gläubigen voraus, gefolgt von den Kindern, der Musik,

dem Geistlichen mit seinen älteren Ministranten und Oberministranten, zum Schluss reihten sich die Frauen und dann die Männer ein. Man sagt, dass ab und zu einige Männer dem Zug nicht mehr folgen konnten, sogar verloren gingen, obwohl ihnen die Umgebung sehr vertraut war…

In der Hierarchie der Messdiener standen die ältesten Ministranten ganz oben und im Laufe der Jahre dann nicht mehr die körperlich stärksten, sondern die schlauesten und mutigsten.

So verhielt es sich normal, dass sie aus dem Liturgiegläschen den Rest des Weines trinken

durften, welchen der Pfarrer nach dem Vollzug der Handlung übriggelassen hatte.

Aber wie war das möglich?

Der Pfarrer hatte die seltene Angewohnheit, seinen Messwein im Gottesdienst nicht gänzlich in den Kelch zu leeren, sondern eine kleine Menge übrig zu lassen. Genau diese Menge war das begehrte Objekt der Vorministranten und so räumten sie gleich nach dem Ende der Messfeier eilends Wasser und Wein ab. Noch während des Gehens und ohne Blickeinsicht des hohen Herrn und seines Dieners, des Küsters, wurde der Schluck getrunken, was ein gewaltiges Staunen und Bewunderung der jüngeren Ministranten hervorrief.

Irgendwann hatte der Küster diese Unsitte bemerkt und sie verboten. Der übrig gebliebene Wein wurde nun in die Sakristei gebracht, in die die Ministranten in der Regel keinen Zutritt hatten……

 

 

Die Ami kommen

Von weitem hörte man sie kommen, bevor man sie sehen konnte, ein Grollen lag in der Luft, zuerst leise, dann immer lauter. Wir Buben ließen beim ersten Hören alles liegen und stehen und rannten zu dem Bildstock am Kastanienbaum am Ortseingang. Endlich erschienen sie nach der Kurve auf der Straße von Euerbach nach Sömmersdorf, angeführt von mehreren Jeeps, auch der MP. Je mehr die Kolonne von ca. 6 bis 10 amerikanischen Sherman-Panzern sich näherte, desto mehr wuchsen diese Stahlkolosse zu einer gewaltigen Größe heran, desto stärker fingen ihre Umrisse in den Abgasen an zu flimmern. Immer mehr Leute liefen zusammen, auch Erwachsene.

Dann waren sie da, ihr Dröhnen ließ sich kaum ertragen, es war ohrenbetäubend, angsteinflößend.

Im fast 90 Grad-Winkel mussten sie in den Obbacher-Weg einbiegen und dabei die Straße hoch Gas geben. Nach dem zweiten Panzer flimmerte die Luft nur noch, alle gewohnten Umrisse schienen zu verlaufen, die Abgase stanken und reizten die näher Stehenden zum Husten.

Am Münsterholz, neben der Straße und mit Blick auf Schweinfurt, bezogen sie Stellung, die Kanonen dorthin ausgerichtet. Seinen Stellplatz schaffte sich jeder Panzer, indem er allen Bewuchs und ganze Bäume einfach niederwalzte.

In den ersten Stunden der Übung durfte sich keiner von uns bei den Soldaten aufhalten, was sich am nächsten Tag meist änderte. Die GIs hatten ihre Freude an uns Buben, beschenkten uns mit

„Tschoklät und Tschewinggum“, hoben uns auf Ihre Panzer und ließen die Mutigsten in die Fahrzeuge klettern. Die älteren Buben kauften mit großem Eifer auf Wunsch so manchen Amerikaners frische Wurst beim örtlichen Metzger und verlangten dafür Dollar. Natürlich wechselte die Metzgersfrau, die auch Wirtin war, das Geld und rechnete in D-Mark ab. Wir ließen uns viele kleinere D-Mark Scheine geben, was bei den Amerikanern bei der Rückgabe der Ware den Anschein von viel Geld erwecken sollte. Von den Scheinen behielten wir zudem einige zurück, bevor wir die „Sousitsch“ ablieferten, um dann bei der Übergabe nochmal die Hand aufzuhalten und entlohnt zu werden.

Meist haben wir den Abzug der Soldaten in einem der folgenden Nächte nicht mitbekommen, dafür musste man am Morgen danach umso schneller vor Ort sein. Denn heiß begehrt waren die sehr festen leeren Munitionsboxen aus Metall, die nach der Übung in großer Zahl einfach herumlagen. Vater verstaute darin Nägel und Schrauben. Ebenso suchten wir nach Telefondraht, den sie von Fahrzeug zu Fahrzeug gezogen hatten und der sehr stabil war. Man konnte ihn zu viel Nützlichem verwenden.

 

 

Jerry, der Hofhund

Wie Opa auf diesen, für uns Unterfranken seltsam klingenden Hundenamen kam, weiß ich

nicht. Möglicherweise nannten seine Eltern schon ihre Hofhunde so, denn bei den vielen

Tieren, die einander folgten, wurden alle so genannt mit Ausnahme des letzten Hofhundes, der

Rolf hieß. Jeden Abend band Opa oder Sohn Rudi ihren Jerry von der Leine. Wie verrückt sauste

dieser dann zwei-, dreimal über den ganzen Hof, kam kurz zu uns, beschnüffelte mich ebenso

kurz, um im Karacho wieder loszujagen. Dieses Schauspiel dauerte drei bis fünf Minuten, dann

hatte der Hund genug. Ganz anders war sein Verhalten darauf: er schnüffelte uns ab, ließ sich

kraulen und rieb sich kräftig an unseren Beinen. Tat er dies bei mir, musste ich aufpassen von

Ihm nicht um gedrückt zu werden.

Wenn es kalt wurde, verhängte Opa das Eingangsloch der Hundehütte mit einem alten Sack. Hatte der Hund Langeweile-das kam öfters vor-riss er den Sack herunter und zerriss ihn in Stücke.

War strenger Frost angesagt, durfte das Tier des nachts in den Ern des Wohnhauses einziehen. Nun verbreitete sich ein etwas strenger Geruch im Wohnhaus, worauf die Hausfrau für eine baldige Rückkehr zum gewohnten, geruchslosen Zustand sorgte.

Ganz energisch, ja richtig giftig reagierten die meisten Hofhunde auf Fremde. Als Wachhunde angebunden direkt neben der Hofeingangspforte an einer langen Leine, meist Kette, sprangen sie mit

wütendem Gebell auf Besucher zu. Waren die Menschen nicht auf das Tier gefasst, schreckten

sie zurück und trauten sich kein zweites Mal hinein. Beide Bauersleute waren mitunter stundenlang zusammen auf dem Feld außerhalb des Ortes und so blieb der Hof daheim unbeaufsichtigt und der Hund musste den besten Wächter abgeben. Ein Jerry war damals auf jeden Hof anzutreffen.

 

Ein Streich

Eine Hangwiese mit einigen Obstbäumen hatte es uns eines Tages angetan.

Oben an der Hangkante stand einsam ein alter, ausrangierter Leiterwagen, am unteren Ende

der provisorisch eingezäunten Wiese begrenzte der Hauptweg zum alten Steinbruch das

Gelände. Nun galt es den schweren Leiterwagen so zu bewegen, dass er den Hang hinabstürzte

und unten auf dem Weg zum Stehen kam, er sollte den Weg blockieren. Gesagt, getan.

Mit vereinten Kräften, mit großen Mühen bewegten wir das Gefährt und brachten es in die

Senkrechte. Der Wagen fuhr langsam los, wurde schneller und schneller. Mit einem Ruck

brach die Vorderachse aus und als Ziel und zugleich Endstation kam nur der nächste

Apfelbaum in Betracht. Der Wagen traf den Baum und zerbrach in mehrere Stücke. Einige

Teile kullerten bis zur Straße hinunter und auf die Straße. Blankes Entsetzen erfasste uns.

Nichts wie weg. In alle Richtungen rannten wir auseinander. Ein Kamerad floh mit mir in

Richtung alter Sportplatz. Dort angekommen, war uns der Abstand zum Übel noch nicht weit

genug. Weiter ging es auf dem Brebersdorfer Weg, immer im schnellen Laufschritt als wenn

man uns jeden Moment an den Kragen packen würde. Irgendwann machte sich Seitenstechen

bemerkbar und das Gefühl weit genug entfernt zu sein. Zurück ins Dorf, jeder auf direktem Weg in sein Elternhaus, ich ging langsam, sehr langsam…

 

Aus „Erinnerungen eines 1951 Geborenen“ von Herbert Wolz

Mutters Rockzipfel, lässige Yankees und ein Spielplatz im Jahr 1945

von Franz Seitz (84) Urphar

 

Man schreibt das Jahr 1940 und wir versetzen uns gedanklich in ein idyllisch gelegenes Dorf im bayerischen Schwabenland. Es ist Sommer, Sonntag und Frühschoppenzeit. In der „Inneren Taverne“ politisieren betagte Stammtischbrüder und witzeln nebenbei: „Den Bub von unserer Wirtin hat sicher der Storch gebracht.“ Meine viel ältere Halbschwester, die dort immer bediente, erzählte es mir Jahre später. Zum besseren Verständnis sollte ich hinzufügen, dass meine Eltern, die den Gasthof neben Landwirtschaft und Brauerei betrieben, damals mit 72 bzw. 42 Jahren nicht mehr die Jüngsten waren und dass bei meiner Geburt in der Tat Störche auf Vaters Sudhaus nisteten. Allerdings ist nachweisbar, dass ich unter tatkräftiger Hilfe der Dorfhebamme ans Tageslicht befördert wurde. Zwei Wochen später wurde ich dann in der barocken Martinskirche nach katholischem Ritual von einem seinerzeit wohl sehr beliebten Pfarrer getauft. Ein richtiger „Seelen-Kümmerer“ soll er gewesen sein und dazu des öfteren in geselliger Runde mit den Mannsbildern einen Schafkopf in der Taverne geklopft haben. Somit ist auch geklärt, weshalb ich so gerne Karten spiele.

Nun ein Sprung ins Jahr 1944. Wie so oft hing ich wieder einmal an Mutters Rockzipfel „Jetzt muß ich aber hinübergehen zur Kegelbahn, um nach der Wäsche zu schauen“, meinte sie und tröstete mich mit einem kleinen Schmatz. Wie immer hatte sie noch etwas zu erledigen und war in großer Eile. In diesem Augenblick flog ein feindlicher Jagdflieger heran, Schüsse peitschten und Kugeln spritzten über den Weg. Das ging blitzschnell. Viel zu hastig sprang sie zurück und rannte etwas orientierungslos mit Wucht gegen die Hausecke des Gasthofes. Die Folge war, dass sie eine klaffende Wunde am Kopf davontrug. Auf der Aussentreppe sitzend, erlebte ich diesen sehr bedrohlichen Vorfall und er ging mir ordentlich unter die Haut, zumal es die liebe Mama betraf. Im selben Jahr, an einem Winterabend, nahm sie mich bei der Hand und eilte mit mir hinauf zur oberen Scheuneneinfahrt. Dabei erklärte sie mir, dass Ulm gerade bombardiert wird und die Anderen schon oben wären. Dort standen viele Leute und lamentierten sinngemäß, dass die armen Ulmer nun wohl Schlimmes zu erleiden hätten. Der Horizont war feuerrot, das Inferno etwa zehn Kilometer entfernt In dieser Nacht wurde die schöne Donaustadt fast völlig zerstört. Einem Wunder gleich, blieb das Münster , mit dem immer noch höchsten Kirchturm, weitestgehend unbeschädigt. Ein halbes Jahr später besetzten die Amerikaner, von dort kommend, dann auch unser Dorf.

Von irgendeinem Verantwortlichen wurde meine Familie aufgefordert das Anwesen zu verlassen, da es den Besatzern zur Verfügung stehen müsse. Lediglich die Fremdarbeiter könnten bleiben, um auf Pferde, Kühe, Schweine usw. aufzupassen. Alles Wertvolle wurde nun schnell zusammengetragen und ich durfte auch mithelfen, das Silberbesteck im Gemüsegarten unter den Himbeerstauden zu vergraben. Bleibe fanden wir beim Huf-Schmied, der schon seit vielen Jahren unsere Pferde beschlug und die vielen Gerätschaften des Hofes reparierte. Zum Essen gab es Brot, Butter, Pellkartoffel und Stinkkäse. Geschlafen wurde in Liegestühlen, die man in der Bauernstube aufstellte. Das gefiel mir alles sehr gut, den es war für mich ein spannendes und abenteuerliches Erlebnis. Die Eltern machten sich jedoch große Sorgen um Haus und Hof. Kurz nachdem wir uns in unserem „Exil“ eingerichtet hatten, sahen wir eine Jeep/Laster-Einheit, die in Nachbarschaft zu uns ein Lager aufschlug. Direkt neben dem Bullenstall, wo der Gemeindebulle üblicherweise die örtlichen Kühe zu „beglücken“ hatte. Geschossen wurde nicht. Alles blieb ruhig. Als wir am nächsten Tag zurückkehren durften, konnten wir feststellen, dass keine größeren Verwüstungen verursacht wurden. Vater hatte mit

viel Schlimmerem gerechnet. Allerdings wurde sein Sekretär aufge-brochen und das Luftgewehr meines Bruders, der zu dieser Zeit noch in Gefangenschaft war, lag zertrümmert auf dem Fußboden. In der Gaststube in allen Ecken, auf Tischen und Bänken leere Schnaps-, Bier- und Weinflaschen. Also ein gewisses Durcheinander herrschte schon vor. Erstmals kam ich jetzt in den Genuss von Schokolade. Einige Stücke fand ich unter Vaters Sitzkissen auf der Lederbank im Nebenzimmer. Im Dorf blieben nur wenige GIs als sogenannte Nachhut. Wir Buben bestaunten die Yankees, wie sie lässig auf ihren Jeeps saßen, Kaugummi kauten, dabei noch eine Lucky-Strike im Mundwinkel und den Helm recht unordentlich nach hinten geschoben. So sahen also Sieger aus! Oft warfen sie uns einen Chewing Gum zu, den wir natürlich begeistert auffingen. Spürbar hellte sich die zuvor angespannte Situation auf. Sinngemäß laberten in den Wochen davor die alten Stammtischbrüder: „Der Krieg ist verloren! Alles ist verloren! Deutschland kommt nie mehr auf die Beine! Die Sieger werden unerbittlich sein!“ Jetzt konnten sie aber feststellen, dass die Amerikaner faire Besatzer waren. Schlimm erging es allerdings einigen aktiven Dorf-Nazis. Jetzt schaffte sich der Zorn von Bürgern, die darunter gelitten hatten, freie Bahn. Auf der Aussentreppe des Gasthofes sitzend, konnte ich alles gut verfolgen. Einzeln abgeholt und dann in einem Schweine-Anhänger sitzend, rannte man mit ihnen durchs Dorf. Die Schreie eines Hitler-Aktivisten hatte ich danach noch lange im Ohr. Ähnlich einem Schwein vor der Schlachtung waren seine Schreie zu hören. Er hatte wohl fürchterliche Angst, gelyncht zu werden Dies geschah jedoch nicht und einige Wochen später saß er schon wieder in der Taverne und palaverte davon, dass der „Adolf“ noch leben würde und in einem U-Boot nach Südamerika entkommen sei.

Herumliegendes Kriegsgerät weckte natürlich das Interesse von uns Buben. Die nördlich vom Ort liegende Kiesgrube, in welcher der ganze Schrott abgeladen wurde, entwickelte sich nun zu unserem neuen Spielplatz. Dort lagen Leuchtraketen, Wrackteile von Flugzeugen, Gewehre u.v.a.m. Dass es dort für uns gefährlich sein könnte, daran dachten wir überhaupt nicht. Hinzukam, dass die Erwachsenen sehr mit sich selbst beschäftigt waren und keine Zeit hatten, um auf uns aufzupassen. Die Folge war, dass in der Kiesgrube ein schreckliches Unglück geschah. Zufällig war ich an diesem Tag nicht dabei. Allerdings mein Namenskollege, der kleine Franzl vom Kolonialwaren-händler.Er wollte eben auch mitspielen. Die etwas älteren Buben hatten jedoch etwas dagegen und spaßeshalber nahm ihr Anführer einen herumliegenden Karabiner zur Hand und befahl ihm nach Hause zu gehen, andernfalls er auf der Stelle erschossen würde. Der unglück-liche Bedroher ahnte nicht, dass das Gewehr geladen war. Nach nochmaliger Aufforderung drückte er ab. Ein Schuß löste sich und die Kugel traf den Franzl in den Bauch.Wie ein Lauffeuer verbreitete sich dieses schreckliche Ereignis im Dorf. An der Verletzung verstarb mein Nachbarsfreund dann kurze Zeit später. Es war eine große Tragödie für seine Eltern. Sie verloren ihr einziges Kind. Mit drei anderen Buben wurde ich ausgesucht, bei der Beerdigung den kleinen weißen Sarg zu tragen. Später kam ich noch oft in den Laden der leidgeprüften Eltern um für die Mama Bestellungen zu erledigen. Meistens war Franzls Mutter im Laden. Traurig sprach sie dann mit mir und sah mich mit Tränen in den Augen an. Sie konnte den Verlust ihres einzigen Kindes nie verschmerzen.

Anfang 1946 erreichten die ersten Vertriebenen aus dem Sudetenland unseren Ort. Zum Herbst hin wurde der Zustrom stärker. Jetzt kamen auch die Flüchtlinge aus Schlesien und Ostpreußen. Die Einwohnerzahl verdoppelte sich von 500 auf 1000. Leider begann in diesem Herbst auch mein erster Schultag. Aber dies ist eine andere Geschichte.

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